© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 30/05 22. Juli 2005

Chinas Griff nach Italien
Italien: Von Armani bis Fendi - das Land wird überflutet von billigen Raubkopien / Triaden verdrängen Mafia
Paola Bernardi

Im Morgengrauen rückten die Carabinieri mit mehreren Einheiten an. Ihr Zielobjekt war ein Bauerngehöft in der Nähe von Fondi / Latium. Umringt von Feldern, weit abgelegen von der Provinzstadt drangen sie in die angeblichen Stallungen ein. Doch wo hier einst das Vieh gehalten wurde, war eine riesengroße Werkhalle entstanden.

Hier trafen sie auf 50 chinesische Näherinnen, die unter kaltem künstlichen Neonlicht vor Nähmaschinen schufteten. Flink und schnell im Akkord wurden weiße Stoffballen zu Hemden verarbeitetet. Nicht zu gewöhnlichen Männerhemden, sondern diese wurden am Schluß mit den Etiketten der Edelmarke "Armani" verziert.

Es gab Tränen, Gekreische und Verständigungsschwierigkeiten als die Carabinieri die jungen Chinesinnen vernehmen wollten. Die meisten der Mädchen zwischen 16 und 20 Jahren waren illegal ins Land gekommen, ohne Aufenthaltsgenehmigung. Ihr italienischer Boß war ein polizeibekannter Kleinmafioso (Piciotto), der unter unwürdigsten Bedingungen diese weibliche chinesische Arbeitsbrigade führte. Die Frauen schufteten für 40 bis 50 Euro pro Woche, bei einem täglichen Arbeitspensum von bis zu 15 Stunden.

Ein Lkw brachte die Arbeiterinnen morgens zur Arbeit und holte sie abends wieder ab, um sie in ihr armseliges Schlafquartier - eine abseits gelegene umgebaute Scheune mit Betten und Gemeinschaftstoiletten - zu bringen. Die falschen Armani-Hemden, made in Italy, wurden für 30 bis 40 Euro - eingehüllt in Seiden-Papier und Kartons - auf den Märkten von Rom, Neapel oder Mailand verhökert. Das Geschäft ging blendend. Die Konsequenz: Der geschnappte Mafiosi wird eine kleine Strafe bezahlen oder absitzen, während die armen Chinesinnen (falls sie nicht sofort in ihre Heimat geschickt werden) in kürzester Zeit von einem neuen Arbeitgeber "übernommen" werden.

Dieses Mal allerdings könnte es sich um einen zu Geld und Reichtum gekommenen Chinesen handeln, der nun wiederum seine textilen Plagiat-Geschäfte mit den illegal ins Land gekommenen Chinesinnen betreibt. Der neue Sklavenhandel funktioniert fast lautlos. Die China-Mafia - die Triaden - sind längst auch in Italien gut im Geschäft. Nur selten hat jemand den Mut, Anzeige zu erstatten. Italien ist das Land, das derzeit von Raubkopien überschwemmt wird. Nicht nur Textilwaren, sondern auch teure Lederprodukte wie Schuhe, Stiefel und Sandalen und vor allem Handtaschen werden imitiert und für einen Bruchteil des Originalpreises angeboten. Italien, das Land, das Inbegriff für Mode ist, für Eleganz und Stil in Europa steht, ächzt nun unter dem Druck der asiatischen Konkurrenz. Italien wird von China in einen wahren Zangengriff genommen. Einerseits werden über die Häfen Neapel und Genua (die wichtigsten Einfallstore für chinesische Waren und die Transitbasis für die USA) die Imitate ganz legal eingeführt.

Es handelt sich dabei keineswegs nur um Billigwaren, die auf den ersten Blick zu erkennen sind. Denn viele große italienische Unternehmer haben ihre Produktionsbetriebe aus Kostengründen nach China verlagert.

Und das rächt sich nun. Denn die Chinesen lernen sehr schnell, wie man fast perfekte Raubkopien macht. Für einen Nichtkenner sind zum Beispiel die Taschenmodelle von Fendi, wie die "Baguette" mit Perlenstickerei, kaum zu unterscheiden von den europäischen Originalen. Die Fähigkeiten der gut ausgebildeten chinesischen Ingenieure und Designer und die ausgereifte Informationstechnologie wird in Europa anscheinend immer noch unterschätzt.

Nun schlägt China zurück - mit perfekten Warenkopien. Während einerseits Italien, insbesondere Rom und Mailand, von einer Welle importierter Raubkopien überflutet wird, machen zum anderen die "neureichen" Chinesen der italienischen Mafia nun Konkurrenz. Sie übernehmen nicht nur in Süditalien, sondern auch in der Toskana rund um Florenz, die dort seit Jahren bestehenden mafiosen Untergrund-Firmen für Lederherstellung.

Doch nicht genug, die Chinesen sind sogar bis in die Textilgebiete wie Biella und Corno in Norditalien vorgedrungen und haben dort ihre neuen Standorte aufgeschlagen. Sie können selbst in Italien billig produzieren. Denn die Chinesen lassen ihre Leute offiziell als Touristen einreisen, die dann zu Billiglöhnen ohne Gewerkschaften und Streikrecht schuften müssen.

Die Konkurrenz scheint grenzenlos. Mitten in Rom, an der Piazza Vittorio Emanuele, im Schatten von Santa Maria Maggiore, ist sogar eine neue "Chinatown" entstanden. Ganze Straßenzüge sind voll von chinesischen Händlern, es gibt chinesische Banken, Ärzte und sogar Kliniken. Die römischen Anwohner werden systematisch verdrängt, und die römische Stadtverwaltung scheint machtlos.

Chinas Griff nach Italien zeigt erste Konsequenzen: 48.000 Arbeitsplätze in der Textilbranche gingen in den letzten zwei Jahren in Italien verloren. Täglich werden neue Konkurse im textilen Einzelhandel gemeldet. Die Preise von Lederwaren mußten um 30 Prozent gesenkt werden. Wehklagen überall durch diesen explosiven Einbruch.

Selbst EU-Handelskommissar Peter Mandelson zeigte sich "besorgt" von der Warenflut aus China. Es wurde daraufhin im Juni 2005 eine Beschränkung von Importen aus China bis 2008 vereinbart. Der Brite sprach hinterher von einem "fairen und guten Kompromiß". Der italienische Vizepremier Giulio Tremonti kritisierte hingegen dieses Abkommen als unzureichend: "Weniger als ein Kamillentee, nicht einmal ein Beruhigungsmittel".

Noch will China einen ernsten Handelskonflikt vermeiden. Peking hat eine Ausfuhrsteuer auf Textilien verhängt und erwägt Selbstkontrollen der Firmen. Von einer Textilflut will in China allerdings niemand reden. Die Explosion der Exportzahlen in diesem Jahr sei ein "vorübergehendes Phänomen", so der chinesische Vizehandelsminister Zhang Zhigang. Doch Chinas Griff nach der Industrie des Westens geht weiter, die Invasion rollt. Gegenstrategien gibt es bislang noch nicht.

Foto: Armani-Model Ambrosio: Druck der asiatischen Konkurrenz steigt


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