© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 30/05 22. Juli 2005

Als Tiger gestartet, als Bettvorleger gelandet
Visa-Affäre: Das Ergebnis des Untersuchungsausschusses, der mit der Aussage von Otto Schily seine Beweisaufnahme abgeschlossen hat, ist dürftig
Hans Christians

Was am Ende übrigbleibt? Diese Frage müssen andere beantworten." Deutlicher hätte sich der Bundesinnenminister Otto Schily kaum äußern können. Geredet hat er viel, der SPD-Politiker am vergangenen Freitag während seiner mehr als fünfstündigen Verteidigungsrede vor dem Visa-Untersuchungsausschuß. Doch Relevantes gesagt hat er kaum.

Nun hat der Ausschuß seine Arbeit offiziell beendet. Lediglich der Abschlußbericht steht noch aus - sowie seine Debattierung durch den Bundestag. 150 Seiten stark war der Bericht, den Schily vor dem Ausschuß vortrug und damit seine Widersacher aus der Opposition zur Weißglut trieb. Mehrfach wies der 72 Jahre alte Jurist jede persönliche Mitschuld am massenhaften Visa-Missbrauch zurück, gestand aber auch Fehler in seinem Ministerium ein. Für die Visa-Vergabe sei aber allein das Auswärtigen Amt und die ihm unterstellten Botschaften zuständig - es trage deshalb auch die alleinige Verantwortung .

Der am 17. Dezember 2004 eingesetzte Ausschuß sollte klären, ob die Visa-Politik der Bundesregierung Schwarzarbeit, illegale Einwanderung und Zwangsprostitution erleichterte oder förderte. Schily war nach Außenminister Fischer das zweite Kabinettsmitglied, das im Ausschuß aussagte. Der Außenminister war am 23. April vor den von der Opposition eingeleiteten Untersuchungsausschuß getreten und hatte sich mit einer Redezeit von zweieinhalb Stunden im Vergleich zu Schily verhältnismäßig kurzgehalten. Viel Licht ins Dunkel der umstrittenen Visa-Vergabe brachten beide Auftritte letztendlich nicht - und die Gesamtbilanz des Ausschusses fällt dürftig aus. Bei der Vernehmung Schilys ging es vor allem darum, wann der Innenminister etwas von den Gefahren des Visa-Mißbrauchs wußte, wann er den Kollegen Fischer gewarnt hat und weshalb er sich nicht durchsetzen konnte.

Unions-Obmann Eckart von Klaeden unterstellte Schily, daß er von Bundeskriminalamt und Bundesgrenzschutz früh über die Mißbräuche informiert worden sei. Er habe sich aber mit Warnungen gegenüber Fischer nicht durchsetzen können. Deshalb sei der Visa-Mißbrauch weitergegangen und habe sogar zugenommen.

FDP-Obmann Hellmut Königshaus wollte von Schily wissen, warum er den von ihm "von vornherein als rechtswidrig erkannten Fischer/Volmer-Erlaß", vom März 2000 auf Staatssekretärsebene für rechtmäßig erklären lassen hat. Nach dem umstrittenen Erlaß war unter bestimmten Voraussetzungen "im Zweifel für die Reisefreiheit" entschieden worden. Die Gründe für Schilys Zurückhaltung seien aus den Akten nicht ableitbar, sagte von Klaeden. Schily habe "sein Bild als Sicherheitsminister zerstört". Das 1999 aufgetretene Phänomen der "legendierten Schleusung" - also der organisierten Massen-Einschleusung von Ausländern mit erschlichenen Visa - war den Sicherheitsbehörden laut dem CDU-Obmann seit 1999 bekannt. Nach den Terrorangriffen auf die USA vom 11. September 2001 habe Schily zwar für eine Verschärfung der Sicherheitsgesetze gesorgt. Gleichzeitig sei es den deutschen Botschaften unter Verweis auf den Datenschutz untersagt worden, Daten über Personen zu sammeln, die verdächtig oft Osteuropäer zu Besuchen in Deutschland einladen. Schily beantwortete alle Fragen, er redete episch lange, doch für eine finale Aufklärung reichte es nicht.

Allzu deutlich wurde das parteipolitische Kalkül der Union, mit Fischer und Schily die beiden verbliebenen starken Männer in die Enge zu treiben. Nicht ohne Grund werteten Beobachter die Unions-Strategie als Wahlkampfmanöver. Spätestens seit dem 22. Mai als Bundeskanzler Schröder die Auflösung des Bundestages ankündigte und die Sozialdemokraten die Arbeit des Ausschusses einstellen wollte, wurden die parteipolitischen Machtspielchen deutlich. Am 14. Juni hatte das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe einem Eilantrag von Union und FDP gegen das von Rot-Grün durchgesetzte vorzeitige Aus des Ausschusses stattgegeben. Die Richter verpflichteten das Gremium, die Zeugenvernehmung solange fortzusetzen, bis der Bundespräsident das Parlament auflöst.

Viel Neues würden auch weitere Mammutsitzungen nicht mehr zu Tage bringen. Von Beginn an verfolgte die Opposition offensichtlich vor allem ein Ziel: die Demontage von Außenminister Fischer, dem damals beliebtesten deutschen Politiker. Eine Strategie, die aufging. Obwohl Fischer bei seiner Aussage vor dem Ausschuß versuchte, Punkte gutzumachen, verlor er in Umfragen bis zur Wahl in Nordrhein-Westfalen drastisch an Beliebtheit. So paradox es klingt: Die Niederlage in NRW und die aufkommende Siegesgewißheit der Union im Vorfeld der Neuwahlen retteten Fischers Posten.

So forderte der von der Opposition spektakulär angekündigte Untersuchungsausschuß letztlich nur ein (Bauern)-Opfer: Ludger Volmer. Anfang des Jahres war der 53jährige in der Visa-Affäre in die Schußlinie geraten. Union und FDP hatten den Erlaß aus seiner Zeit als Staatsminister im Auswärtigen Amt als Hauptursache für ausufernde Schleuser-Kriminalität und Mißbrauch von Reiseschutzpässen in der Ukraine ausgemacht. Der "Volmer-Erlaß" vom März 2000 wies die Konsularbeamten an, bei Visa-Anträgen "im Zweifel für die Reisefreiheit" zu entscheiden. Volmer trat als außenpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion zurück, um Fischer zu entlasten. Der Mitbegründer und ehemalige Vorsitzende der Grünen hat mittlerweile den stillen Abgang durch die Hintertür gewählt. Als feststand, daß ihm die NRW-Grünen einen aussichtsreichen Listenplatz für die Bundestagswahl verwehren würden, warf er das Handtuch. In einem Brief erklärte er seinen Verzicht auf eine Kandidatur.

Der Untersuchungsausschuß ist zu Ende - und hat die Karriere eines zweitrangigen Politikers beendet. Wirklich ruhmreich ist diese Bilanz nicht.


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