© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/05 15. Juli 2005

Mörder, Märtyrer und Zuschauer
Bosnien: Zehn Jahre nach dem Massaker von Srebrenica ist nicht nur in Serbien mehr Ehrlichkeit vonnöten
Peter Lattas

Zehntausende Menschen haben letzten Montag in einer Trauerzeremonie zum zehnten Jahres-tag des Massakers an bosnischen Muslimen in Srebrenica der Opfer gedacht. Auch der serbische Präsident Boris Tadic reiste zur Gedenkfeier und verneigte sich vor den Särgen von 610 Opfern, die nun dort feierlich beigesetzt wurden.

Doch die Aufarbeitung in Serbien - im Juni ausgelöst durch die Veröffentlichung eines Videos, das serbische Soldaten bei der Ermordung muslimischer Kriegsgefangener zeigt - wird bis hinein ins serbische Parlament von Stimmen dominiert, die das Massaker mit dem Hinweis auf ebensolche und noch schlimmere Verbrechen an Serben relativieren wollen. Die Demokratische Partei von Premier Vojislav Kostunica führte gar die Massengräber des Zweiten Weltkriegs ins Feld und meinte damit nicht etwa die von Tito-Partisanen ermordeten Slowenen und Kroaten in der Gottschee und in Bleiburg, die in der Tat das Verbrechen von Srebrenica noch in den Schatten stellen, sondern ausschließlich die von 1941 bis 1945 unter der kroatischen Ustascha-Herrschaft ermordeten Serben, die die meisten Opfer stellten. Noch heute gebe es "unentdeckte Gräber", so Kostunica.

Doch solch selektives Denken hat Tradition im Jugoslawien-Krieg. Mit dem Appell an serbische Opfermythen hatte der serbische Präsident Slobodan Milosevic auf der Gedenkkundgebung zum 600. Jahrestag des Untergangs des mittelalterlichen Serbien in der Schlacht auf dem Amselfeld am 28. Juni 1989 den Startschuß für die jugoslawischen Erbfolgekriege gegeben. Der berechtigte Hinweis auf später von allen Seiten begangene Scheußlichkeiten kann nicht die Tatsache überdecken, daß die Ursache des Krieges, der die früheren jugoslawischen Teilrepubliken von 1990 bis 1995 verwüstet hat, in dem Bestreben serbischer Politiker und Intellektueller zu suchen ist, soviel wie möglich von dem brüchig gewordenen Gesamtstaat auch mit Gewalt in ein "Großserbien" hinüberzuretten. Daß die einst zur k.u.k-Monarchie gehörenden Republiken Slowenien und Kroatien sich beeilten, ihr Selbstbestimmungsrecht wahrzunehmen und die staatliche Unabhängigkeit zu erreichen, war eine direkte Folge dieses Zündelns mit der großserbischen Ideologie, die den abgewirtschafteten Kommunismus als Bindemittel des 1918 gegründeten und 1945 von KP-Chef Josip Broz Tito rekonstruierten Kunststaates ersetzen sollte.

Das Massaker von Srebrenica war der traurige Höhepunkt in einem Krieg, der mit dem von Belgrad ermunterten Aufstand serbischer Freischärler in den kroatischen Grenzregionen begann. Daß dieser "Aufstand", ebenso wie der daraus resultierende Krieg, mit Geld, Waffen, Soldaten, Logistik und ideologischer Munition der Milosevic-Regierung am Laufen gehalten wurde, ist eine Tatsache, der man sich in Serbien nach wie vor nur ungern stellt.

Ähnlich widerwillig befaßt sich die "internationale Gemeinschaft" mit ihren Fehlern und Versäumnissen. Ermuntert fühlen durfte sich die serbische Führung bei ihrem militärischen Vorgehen anfangs durch die ablehnende Haltung von EU, Uno und den USA zum Selbstbestimmungsrecht Sloweniens und Kroatiens. In den westlichen Staatskanzleien überwog die Meinung, die Erhaltung übernationaler Zusammenschlüsse sei per se progressiv und wünschenswert und zu unterstützen, während die Bildung neuer Nationalstaaten als reaktionär abzulehnen sei. Man einigte sich lediglich auf ein Waffenembargo, das einer einseitigen Intervention zugunsten der serbischen Seite gleichkam, die über die Erbmasse der hochgerüsteten Jugoslawischen Volksarmee verfügen konnte.

Die Unabhängigkeit Bosnien-Herzegowinas im Frühjahr 1992 konnte daher nur zum Flächenbrand führen. Anders als im Fall Sloweniens und Kroatiens wurde diese Unabhängigkeitserklärung von der internationalen Gemeinschaft begrüßt, weil sie der Erhaltung vermeintlich "multikultureller" Zustände dienen sollte. EU und Uno beschränkten sich auf "humanitäre Hilfe" und die Beobachterrolle, ließen serbische Armee und Milizen gewähren und sahen der Ausweitung des Krieges in ein blutiges "Jeder gegen jeden" tatenlos zu. Die Errichtung von "Schutzzonen" ohne eine "Schutztruppe" mit dem Mandat zum effektiven Schutz markiert das Scheitern dieser nicht-intervenierenden Intervention.

Ihr Sinnbild ist das Foto des niederländischen Uno-Blauhelm-Kommandeurs Tom Karremans, der dem serbischen Oberkommandierenden (und inzwischen vom Haager Uno-Tribunal als Kriegsverbrecher gesuchten) Ratko Mladic nach der Eroberung Srebrenicas am 11. Juli 1995 heiter zuprostet, während serbische Milizen tausende Muslime selektierten, die sich in den UN-Stützpunkt Potocari geflüchtet hatten, Frauen und Kinder ins muslimisch kontrollierte Gebiet abschoben und die Männer erschossen.

Westliche Schätzungen gehen von über 7.000 Toten aus - serbische Offizielle bestreiten solch hohe Zahlen allerdings. Die 610 nun bestatteten Opfer wurden aber zweifelsfrei identifiziert. Massaker von Muslimen oder Kroaten an Serben oder an Angehörigen des jeweils anderen Volkes sind seit langem bekannt und bezeugt. Sie ändern aber nichts an der Verantwortung der damaligen serbischen Führung.


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen