© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/05 15. Juli 2005

"Es lebe das heilige Deutschland!"
Interview: Der Soldat Hans Splinter, zeitweise Fahrer Stauffenbergs, war am 20. Juli 1944 Augenzeuge des Aufstands für Deutschland
Moritz Schwarz

Herr Splinter, Sie haben von September 1943 bis August 1944 beim Stab des Ersatzheeres im Bendlerblock in Berlin, Dienststelle Olbricht, gedient. Jenem Ort, bei der zunächst auch Oberst Graf Stauffenberg nach Genesung von seiner schweren Kriegsverletzung etwa zur selben Zeit wie Sie seinen Dienst aufnahm.

Splinter: Ich war dort als einfacher Soldat, als Kurierfahrer einer Kradstaffel, eingesetzt und habe Oberst Stauffenberg in dieser Zeit regelmäßig gesehen. Wenn wir Bereitschaft hatten, warteten wir im Vorzimmer der Dienststelle. Stauffenberg saß in einem Büro, das durch unser Vorzimmer zu betreten war - oft stand die Tür offen und wir konnten ihn beobachten. Wenn sein Fahrer Urlaub hatte, war ich die Vertretung. In dieser Zeit habe ich auch im Haus Stauffenbergs in der Tristanstraße gewohnt, da ich ihm als Fahrer rund um die Uhr zur Verfügung stehen mußte.

Es gab also auch einen privaten Kontakt zu Stauffenberg?

Splinter: In der Zeit als sein Fahrer habe ich ihm sogar das Frühstück gemacht oder ihm Brombeerblättertee gekocht, den er bevorzugt trank. Allerdings war er immer sehr beschäftigt, insofern ergab sich nur gelegentlich die Gelegenheit zu einem persönlichen Wort.

In der Tristanstraße wohnte auch sein Bruder Berthold. Wie waren die beiden als Menschen?

Splinter: Es waren die angenehmsten Vorgesetzten, die ich bei der Wehrmacht erlebt habe. Sie waren ausgesprochen umgänglich, was man bei Generalstabsoffizieren nicht zu erwarten wagte. Einen "menschlichen" General habe ich - mit einer einzigen Ausnahme, nämlich Friedrich Olbricht - nie erlebt.

"Unsere Vorgesetzten wollten Hitler töten!"

Was machte Olbricht, ebenfalls Beteiligter des 20. Juli, menschlich?

Splinter: Er hat sich zum Beispiel danach erkundigt, wie es uns persönlich geht, ob wir ausgebombt waren und was unsere Familien machen. Wir nannten ihn einen "General mit menschlichen Zügen".

Und die Stauffenbergs?

Splinter: Die waren ähnlich. Allerdings war Berthold etwas zurückhaltender und Claus, wie gesagt, stets beschäftigt. Wann immer ich ihn fuhr, hatte er Akten dabei, die er während der Fahrt durcharbeitete. Bei einer Reifenpanne auf der Avus, hat er mich während der Reparatur weder gehetzt noch getrieben, obwohl er es eilig hatte, so wie das die meisten anderen Offiziere getan haben, er ging nur geduldig auf und ab.

Hat er sich je zum Krieg, zu Hitler oder zur Verfolgung der Juden geäußert?

Splinter: Nein, solche Gespräche hat man, wenn überhaupt, nur mit seinen allerbesten Vertrauten geführt.

Sie waren also am 20. Juli 1944 völlig überrascht, daß ausgerechnet Ihre Vorgesetzten versuchten, Hitler zu stürzen?

Splinter: Das kann man wohl sagen! Es herrschte eine eigenartige Stimmung, wir wurden ja nicht offiziell informiert, sondern mußten uns selbst einen Reim auf die Vorgänge machen. Wir spürten das Uneindeutige der Situation und als alte Soldaten wußten wir, daß uneindeutige Situationen gefährliche Situationen sind. Also hielten wir uns zurück. Als uns klar wurde, was vor sich ging, haben wir uns natürlich erst recht bedeckt gehalten, denn wir wollten nicht irgendwo mit hineingezogen werden. Wir wollten - diesen Instinkt hatten wir an der Front entwickelt - überleben.

Hat der einfache Soldat nicht gedacht: "Aber das ist ja Verrat!"

Splinter: Alte Soldaten wie wir machten sich doch im Sommer 1944 keine Illusionen mehr über den Ausgang des Krieges. Wir haben als gute Deutsche natürlich gespürt, daß hier jemand versuchte, Deutschland zu retten.

Was haben Sie von Stauffenberg an diesem Tag mitbekommen?

Splinter: Er ging mehrere Male zu Olbricht und ging dabei immer bei uns vorbei.

War er nervös?

Splinter: Nein, er war unter Anspannung, aber nicht aufgeregt. Allerdings war er dennoch völlig anders als sonst.

Inwiefern?

Splinter: Er rannte durch den Gang, was ein Generalstabsoffizier sonst nie tat und er schrie mehrere Male jemanden an. Das machte er sonst, im Gegensatz zu anderen Offizieren, nie. Dabei vermittelte er aber nicht den Eindruck, die Nerven zu verlieren, sondern im Gegenteil schien es so, als ob er große Dinge nicht aus der Kontrolle geben wollte.

Haben Sie beobachten können, wann ihm die Erkenntnis kam, daß er die Kontrolle verloren hatte?

Splinter: Nein. Irgendwann merkten wir einfach, daß er offenbar realisiert hatte, daß die Sache verloren war. Dennoch wirkte er aber nicht verzweifelt. Er blieb gefaßt.

Er hat also bis zum Schluß gekämpft?

Splinter: Das kann man sagen. Er gab erst auf, als er verhaftet wurde. Am späten Abend traten plötzlich Offiziere mit Maschinenpistolen im Anschlag ins Vorzimmer und riefen "Für oder gegen den Führer?" Mir war sofort klar, jetzt bloß kein falsches Wort, sonst ist es vorbei! Das war für uns Fahrer der kritische Moment an diesem Tag. Wir stotterten: "Natürlich für den Führer". Sie gingen weiter und gaben auf dem Flur einige Schüsse ab, bevor sie die Räume von Fromm erreichten. Kurz darauf haben wir nur noch gesehen, wie sie Stauffenberg und die anderen in den Fahrstuhl drängten und nach unten brachten.

Von da ab haben Sie Stauffenberg aus den Augen verloren.

Splinter: Wir sahen, daß auf dem Hof Unruhe war, wir wollten uns das genauer anschauen und öffneten das Fenster. Da brüllte es von unten: "Fenster zu! Wir schießen sofort!" Wir schlossen es sofort wieder und hielten Abstand, wodurch wir allerdings nichts mehr sehen konnten. Inzwischen war es bereits nach Mitternacht. Plötzlich hörten wir lautes Rufen und das Krachen von Gewehrsalven.

Sie sagen, Stauffenberg habe gerufen: "Es lebe das heilige Deutschland!"

Splinter: Das habe ich gehört. Für die Worte "Es lebe" kann ich mich nicht verbürgen, aber die Worte "heiliges Deutschland" waren laut und deutlich zu hören.

Durch das geschlossene Fenster?

Splinter: Wir waren mittlerweile auf den Flur gegangen, weil wir dort besser hören konnten, was geschah.

Woher wissen Sie, daß es Stauffenberg war? Sie konnten ihn nicht sehen.

Splinter: Wir alle hatten lange genug mit den Offizieren der Dienststelle zusammengearbeitet, um Stauffenbergs Stimme genauso sicher erkennen zu könne, wie die von Oberleutnant von Haeften oder von Oberst von Quirnheim.

Können Ihre Kameraden das bestätigen?

Splinter: Davon bin ich überzeugt. Ich weiß allerdings nicht, ob sie den Krieg überlebt haben und noch leben. Ich habe einmal per Zeitungsanzeige versucht, sie zu finden - ohne Erfolg.

Wieso ist dieser Ausruf dann in der Geschichtsschreibung so umstritten?

Splinter: Das weiß ich nicht und das spielt für mich auch keine Rolle, weil ich weiß, was ich gehört habe. Wie anders, als durch Zeugen könnte man das be- oder widerlegen. Bitte, ich bin ein Zeuge. Gibt es denn überhaupt einen Zeugen, der das Gegenteil behauptet? Ich kenne keinen. Aber selbst wenn, ändert das nichts an dem, was ich ohne jeden Zweifel wahrgenommen habe. Und Stauffenberg war nicht der einzige, Werner von Haeften rief ebenso deutlich: "Es lebe Deutschland!"

"Sein Leben einsetzen, um sein Land zu retten"

Was haben Sie damals über all das gedacht?

Splinter: Wir haben gar nichts gedacht, wir haben versucht zu überleben. Ich bin nach dem 20. Juli 1944 ein zweites mal im Kampf schwer verwundet worden, was mir wahrscheinlich das Leben gerettet hat, weil ich so bis Kriegsende im Lazarett war.

Was denken Sie heute?

Splinter: Heute bedauere ich, daß das Vermächtnis dieser Helden - man muß schon sagen, beinah systematisch - dem Vergessen anheimgegeben wurde. Natürlich wissen wir heute noch, was damals geschehen ist. Aber nehmen wir wirklich Anteil daran? Empfinden wir Dankbarkeit und Stolz? Ich werde von Zeit zu Zeit in Schulen eingeladen, um von meinen Erlebnissen zu berichten. Die Schüler hören sich das alles interessiert an, sie sind durchaus aufgeschlossen, aber man merkt, sie können offensichtlich nicht viel damit anfangen. Sie verstehen, daß sich da Menschen gegen Ungerechtigkeit aufgelehnt haben, sie verstehen aber nicht Stauffenbergs Opfer für die Nation. Die Idee, sein Leben einzusetzen, um sein Land zu retten, ist ihnen weitgehend fremd.

Es liegt nicht an den Schülern?

Splinter: Nein, es liegt daran, daß ihnen das nie jemand vermittelt hat. So muß ihnen Stauffenberg innerlich fremd bleiben. Es ist doch seltsam, daß wir zum Beispiel unseren eigenen Geburtstag für so wichtig halten, daß wir ihn jedes Jahr feiern, das Opfer Stauffenbergs uns aber nur zu runden Jahrestagen gerademal ein Kalenderblatt wert ist. Wenn wir schon so denken, von wem sollen denn dann noch unsere Kinder ein anderes Denken lernen?

 

Hans Splinter, geboren 1919 in Stettin, war 1943/44 als Kurierfahrer in der Dienststelle Oberst Graf Stauffenbergs eingesetzt, zeitweilig als dessen persönlicher Fahrer. Als einfacher Soldat wurde er am 20. Juli 1944 Zeuge des Aufstandes gegen Hitler im Berliner Bendlerblock. Der gelernte Filmkaufmann diente in Polen, Frankreich und an der Ostfront. Im Nahkampf schwer verwundet, erhielt er das EK II. Den Krieg beendete er, erneut schwer verwundet, im Range eines Feldwebels. Links: 1942, rechts: 2005.

Foto: Stauffenberg, von Haeften (Filmszene aus Jo Baiers "Stauffenberg", 2004): "Opfer für die Nation"

 

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