© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/05 15. Juli 2005

Das Kind als Faktor
Bayern: Ein neues Gesetz im Freistaat klassifiziert den Nachwuchs und trägt dafür Sorge, daß er möglichst lange im Kindergarten bleibt
Georg Alois Oblinger

Oft schon wurde es als große Errungenschaft der ehemaligen DDR gepriesen, daß der Staat sehr frühzeitig die Betreuung der Kinder übernahm, um den Müttern die Berufstätigkeit zu ermöglichen. Mahnende Stimmen, die hierin die Gefahr einer staatlichen Beeinflussung des Nachwuchses sahen und auf die Rechte der Eltern verwiesen, die Entwicklung ihrer Sprößlinge vorrangig zu beeinflussen, fanden häufig wenig Echo, so daß seit der Wiedervereinigung die Anzahl der Kindergärten und die dortige Verweildauer der Kinder weiter kontinuierlich steigt. In Bayern wird jetzt dieser Trend verstärkt: Durch ein neues Kindergartenfinanzierungsmodell wird indirekt eine längere Verweildauer im Kindergarten begünstigt.

Die bisherige staatliche Förderung, wie sie in dem Bayerischen Kindergartengesetz (BayKiG) geregelt war, richtete sich nach der Öffnungszeit und der Anzahl der Gruppen einer Betreuungseinrichtung. Jede Gruppe durfte mit maximal 25 Kindern, in Ausnahmefällen mit bis zu 28 Kindern belegt sein. Jetzt ist das neue Bayerische Kinderbildungs- und Betreuungsgesetz (BayKiBiG) in Kraft getreten, das eine kindbezogene, zeitbezogene und faktorbezogene Förderung vorsieht. Bis spätestens 1. September 2006 müssen alle Kindergärten das neue Finanzierungsmodell einführen. Da es allerdings schon ab dem 1. September dieses Jahres eingeführt werden darf - und in den meisten Kindergärten wohl auch eingeführt wird - kann davon ausgegangen werden, daß in Bayern ab diesem Zeitpunkt auf diesem Gebiet zumindest zweigleisig gefahren wird.

Künftig müssen die Eltern die Zeit buchen, die ihr Kind sich im Kindergarten aufhält. Der Freistaat zahlt dem Kindergarten einen Betrag in Höhe von 759,82 Euro für jedes Kind, das täglich für drei bis vier Stunden den Kindergarten besucht. Der Betrag erhöht sich bei längerer Verweildauer; eine kürzere Verweildauer ist jedoch nur bei Kindern unter drei Jahren möglich.

Betreuungseinrichtungen fürchten um ihre Existenz

Das neue Finanzierungsmodell ist allerdings nicht nur kindbezogen (Anzahl der Kinder) und zeitbezogen (Verweildauer), sondern auch "faktorbezogen", das heißt, es wird berücksichtigt um welche Kinder es sich jeweils handelt. Während das "Regel-Kind" mit dem Faktor 1,0 gerechnet wird, wird der staatliche Förderbetrag mit 1,3 multipliziert, wenn es sich um ein Kind ausländischer Abstammung handelt, mit 2,0 bei Kindern unter drei Jahren und mit mindestens 4,5 bei Kindern mit Behinderung.

Schon jetzt fragen sich viele, insbesondere Mitarbeiter kleinerer Kindergärten, wie ihre Einrichtungen angesichts des neuen Finanzierungsmodells überleben sollen. Die angebotenen Lösungsmöglichkeiten überraschen nicht: Durch eine geschickte Preisstaffelung und durch Festlegung von Kernzeiten mit Anwesenheitspflicht, sollen möglichst hohe Buchungszeiten erreicht werden. Wenn das nicht genügt, muß der Kindergarten versuchen, durch die Aufnahme von behinderten Kindern, Ausländerkindern oder Kindern unter drei Jahren - also Kinder mit einem höheren "Faktor" - das nötige Geld vom Staat zu erhalten. Somit begünstigt das neue Finanzierungsmodell letztlich, daß Kinder in Bayern künftig möglichst früh (unter drei Jahren) den Kindergarten besuchen und sich täglich möglichst lange (über vier Stunden) dort aufhalten werden.


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