© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/05 15. Juli 2005

Auf einem grünen Teppich ins Abseits
Bündnis 90/Die Grünen: Die Fischer-Partei droht im Wahlkampf auf die schiefe Bahn zu geraten / Bundesdelegiertenkonferenz in Berlin
Marcus Schmidt

Wer auf dem Parteitag von Bündnis 90/Die Grünen am vergangenen Wochenende auf der Suche nach einem Sinnbild für das Dilemma war, in dem sich die Partei befindet, brauchte nur einen Blick auf die Radrennbahn zu werfen, deren Innenraum die grünen Parteistrategen als Tagungsort auserkoren hatten.

In grün prangten auf der mit schwarzem Tuch verhüllten Bahn des Berliner "Velodrom" die Leitsprüche mit denen die Partei hofft, im sich ankündigenden Bundestagswahlkampf bestehen zu können. "Arbeit mit Zukunft" stand dort in großen Lettern zu lesen und, genauso groß, "Kinder fördern". In einer der sich bedenklich neigenden Kurven der Rennbahn stand in viel kleinerer Schrift ein weiterer Leitsatz, der nicht nur ob des schmalen Platzes der ihm zugewiesen worden war den Eindruck vermittelte, als sei er noch nachträglich hinzugefügt worden: "Gesunde Umwelt". Fast schien es so, als wollten die Grünen damit zeigen: "Für unsere ureigensten Themen ist in diesem Wahlkampf kein Platz." Die grünen Strategen wissen das seit langem, und dem Parteitag war anzumerken, daß er den Auftakt für einen von der Partei ungeliebten, weil als aufgezwungen empfundenen Wahlkampf bildete.

Die Partei, die mit dem Thema Umweltschutz und dem Versprechen an alle möglichen Minderheiten nach "Teilhabe" groß geworden ist, wirkt in einer Zeit, in der "Hartz IV" und die Massenarbeitslosigkeit die Diskussion bestimmen, merkwürdig blaß. Kein Wunder: Wird nach der Wirtschaftskompetenz der Parteien gefragt, belegen die Grünen selten einen vorderen Platz. So wirkte es denn auch seltsam fremd, als die Parteivorsitzende Claudia Roth in ihrer programmatischen Rede, die sie gewohnt kämpferisch und mit dem bekannten Maß an Empörung vortrug, davon sprach, daß es ein Verdienst von rot-grün sei, daß ehemalige Sozialhilfeempfänger nunmehr von der Politik die Anerkennung erhalten, die sie verdienten. Auch die Worte "Tarifautonomie" und "Mitbestimmung" entfalteten aus ihrem Munde heraus nicht annährend den Zauber wie es beispielsweise die Anekdote tat, die sie kurz darauf zum Besten gab: "Wenn in diesen Minuten hier in der Nähe in der Charité eine Ayshe oder ein Kemal geboren wird, ist das Kind deutscher Staatsbürger", sagte Roth unter dem Applaus der Delegierten.

Außenminister Joseph Fischer, der bereits zu Beginn seiner Rede die Stirn in Falten legte, hatte ähnliche Probleme wie Roth. Ihm kam der Stolz darauf, "daß wir die zweite Rentenversicherungssäule eingeführt haben" nicht mit der gewohnten Lockerheit und mit dem üblichen Maß an Selbstgewißheit über die Lippen. Und da er im Gegensatz zu seiner Vorrednerin nicht mit herzerwärmenden Geschichten aufwarten konnte, wollte der Funke nicht so recht überspringen. Seine Rede war routiniert. Mehr nicht. Fast schien es so, als schöpfe er den Angriffswillen, den er vereinzelt aufblitzen ließ, alleine aus dem Ärger darüber, daß Bundeskanzler Schröder ihn Hals über Kopf in den Wahlkampf gezwungen hat. Am Ende fällt der Applaus für Fischer dennoch deutlich länger und enthusiastischer aus als nach der engagierten Rede von Roth. Die Delegierten klatschen laut und lange für den grünen Titan - weil sie es so gewohnt sind. "Ich hätte mir mehr erwartet", war dennoch von nicht wenigen Delegierten zu hören.

Schließlich, nachdem das Wahlprogramm verabschiedet und der Mann Fischer als einziger Spitzenkandidat festgeschrieben war, gingen die Delegierten auf einem von der Parteitagsregie eigens ausgelegten grünen Teppich zurück zum nahen S-Bahnhof; wohl ahnend, daß es im September für einen roten Teppich kaum reichen wird.


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