© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 28/05 08. Juli 2005

Die Woche
Zur Lüge nun noch die Provokation
Fritz Schenk

Schon die Begründung des Kanzlers vor dem Deutschen Bundestag am vergangenen Freitag war eine Lüge. Zur Fortsetzung seiner Agenda 2010, so Bundeskanzler Gerhard Schröder, worin er den einzig richtigen Weg aus der deutschen Krise sehe, habe er nicht mehr die ausreichende Unterstützung seiner Koalition. Daher wolle er vorgezogene Wahlen, weshalb er Bundespräsident Horst Köhler um Auflösung des Bundestages bitte.

Den Weg dahin ebnete eine getürkte Vertrauensabstimmung, die das von ihm gewünschte negative Ergebnis brachte. In der kurzen Aussprache vor der Abstimmung hatte ihn schon sein Partei- und Fraktionsvorsitzender Franz Müntefering ad absurdum geführt mit der Bemerkung, daß seine Fraktion durchaus noch hinter Schröder stehe.

Auch die Grünen distanzierten sich nicht im mindesten von Schröder und Joseph Fischer, weshalb denn auch ihr einzig ehrlicher Abgeordneter, der frühere DDR-Bürgerrechtler Werner Schulz, den makaberen Vorgang mit den Gepflogenheiten der DDR-Volkskammer verglich und das Bundesverfassungsgericht anrufen will.

Ohne Verzögerung setzte die SPD am Wochenende auf die Verlogenheit auch noch eine Provokation. Denn wie anders soll man es bezeichnen, daß sie nach einem sogenannten "kleinen Parteitag" schon am Montag ihr "Wahlmanifest" vorstellte. Dieses bekennt sich nach wie vor zu Schröders "Agenda", hängt ihr jetzt aber eine Kette von Punkten an, welche vor allem den Linken aus der sozialistischen Seele sprechen.

Kein einziger Punkt davon könnte von Schröder nicht auch in seiner noch verbleibenden Amtszeit in den Bundestag eingebracht werden. Dann wäre seine Mehrheit sogar noch sicherer, als sie jetzt schon ist. Denn auch die vermeintlich "Rechten" in der SPD haben dem zugestimmt. Nichts ist also erkennbar, was den Kanzler daran hinderte, seine Geschäfte verfassungsgemäß (wie er es bei seiner Amtseinführung vor dem Parlament geschworen hat) bis Herbst 2006 fortzuführen.

Die Situation ist daher mehr ernst als makaber, weil die Opposition im Bundestag dieses Bubenstück geradezu begeistert mitmacht. Nur weil sie die seit langem beste Chance sieht, so schnell und so leicht wie möglich wieder an die Macht zu kommen, nimmt sie nicht nur die Beschädigung der Verfassung, sondern auch die des Bundespräsidenten und seines Amtes hin.

Wissend, daß die Masse der Wähler in Deutschland ohnehin keinen Pfifferling mehr auf Wahlprogramme oder gar "Zielvorgaben" von Politikern und Parteien gibt, tritt vor allem die Union ohne konkrete Aussagen außer der einzigen an, daß die rot-grüne Bundesregierung so rasch wie möglich für sie Platz machen müsse. Für Edmund Stoiber (CSU) wäre es sogar eine Katastrophe, wenn sich der Bundespräsident an die Verfassung hielte und sich Schröders fadenscheinigem Wunsch verweigerte.

Täte er das nicht und würde er dem Poker der Mehrheit dieses Bundestages nachgeben, dürften sich Millionen verfassungstreuer Demokraten in ihrer Achtung vor dem Grundgesetz verraten und aus seiner Gültigkeit entbunden fühlen. Dann wären wir auf direktem Weg zurück in "Weimarer Verhältnisse". Zur Erinnerung: Die erste deutsche Demokratie ist nicht gescheitert an der Gewalt der Totalitären, sondern am Versagen der Demokraten.


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