© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 28/05 08. Juli 2005

"Befremdlich und unverständlich"
Vertriebene: Völkerrechtler de Zayas kritisiert Schröder / Schlesier-Treffen in Nürnberg
Johannes Schmidt

Der amerikanische Völkerrechtler Alfred de Zayas hat am vergangenen Wochenende auf dem Deutschlandtreffen der Schlesier in Nürnberg die völkerrechtswidrigen Vertreibungen der Deutschen im Osten scharf kritisiert. "Ohne Zweifel: Bei der Vertreibung und Verschleppung der Deutschen vor 60 Jahren handelt es sich um Verbrechen gegen die Menschheit", sagte de Zayas. Einige amerikanische Parlamentarier hätten die Vertreibung der Deutschen damals zudem als Völkermord verstanden.

Alfred de Zayas stellte seine Ansprache in der Frankenhalle des Messezentrums Nürnberg unter den Leitgedanken "Die Vertreibung der Deutschen - völkerrechtswidrig damals wie heute: Heimatrecht als fundamentales Menschrecht". Der Verfasser von international stark beachteten Büchern und Dokumentationen über die Vertreibung und Entrechtung von rund 17 Millionen Deutschen in Ost- und Mitteleuropa beleuchtete zunächst den Nürnberger Prozeß 1945/46 gegen Hauptverantwortliche des Dritten Reiches. Diese seien unter anderem wegen Vertreibungen und Verschleppungen von mehreren hunderttausend Polen verurteilt worden. De Zayas verwies darauf, daß zur selben Zeit als die Siegermächte die NS-Verbrechen verurteilten, die Polen und Tschechen Millionen Deutscher aus ihrer Heimat vertrieben.

Einen "merkwürdigen Anblick" nannte es de Zayas, "bei den bizarren Moskauer Veranstaltungen am 9. Mai 2005 einen deutschen Bundeskanzler dort zu sehen, freudig dreinschauend über die Parade der uniformierten Kämpfer - unter ihnen auch Vergewaltiger, Mörder und Vertreiber von damals und ihre Nachfolger in 'Traditionsuniformen', die sich seit zehn Jahren in Tschetschenien als 'würdige' Nachfolger ihrer Großväter erweisen. Als Amerikaner habe ich das nicht zu kritisieren, aber befremdlich und unverständlich fand ich das schon."

Opfer werden kaum zur Kenntnis genommen

Als "menschenverachtende Absurdität" bezeichnete es de Zayas, daß die deutschen Vertriebenen und Verschleppten und ihre Nachkommen kaum zur Kenntnis genommen würden. Schlimmer noch müsse man den Tatbestand einordnen, daß diese Opfer des Unrechts heute noch diffamiert würden: "In der Bundesrepublik des Jahres 2005 wird von Politikern und Journalisten die Vertreibung eigentlich hingenommen, als wäre dieses Megaverbrechen eine logische Konsequenz des Krieges. Deutsche Politiker und Journalisten beteiligen sich in einem monströsen Chor der Verharmloser oder Verleugner, die die Vertreibung relativieren, bagatellisieren und schließlich akzeptieren". Eine unseriöse und unwissenschaftliche Zeitgeist-Erscheinung nannte de Zayas die Tendenz, die Opfer der Vertreibung zahlenmäßig unbedingt nach unten zu drücken. "Ich halte sie für menschenverachtend", sagte der Völkerrechtler.

Als Vertreter der bayerischen Staatsregierung forderte Innenminister Günther Beckstein (CSU) in seiner Rede die Errichtung des in Berlin geplanten "Zentrums gegen Vertreibungen". Daß es diese Gedenkstätte noch nicht gebe, sei eines Kulturstaates unwürdig. Ein großes Anliegen habe man vor sich mit der Verbesserung der Situation der deutschen Volksgruppe im polnischen Machtbereich.

Rudi Pawelka, der Bundesvorsitzende der Landsmannschaft Schlesien, wandte sich energisch dagegen, den Mantel des Schweigens über die Tragödie der Vertreibungen zu legen. Erinnert wurde von Pawelka auch an den Leidensweg der deutschen Volksgruppen nach dem Ersten Weltkrieg in Polen und der Tschecheslowakei.


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