© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/05 01. Juli 2005

Eine Werft weckt Begehrlichkeiten
Das Großwerk über die Geschichte der Howaldtswerke Deutsche Werft AG spiegelt auch deutsche Schiffbauhistorie wider
Beo Bachter

Die Zeichen stehen auf Sturm. Genauer gesagt nennt man das Europäisierung. Gemeint ist damit - so man die Dinge ausnahmsweise beim Namen nennt - die langfristige Überantwortung der gesamten deutschen Marineindustrie an ein europäisches Gemeinschaftsunternehmen.

Das Stichwort dazu ist bekannt: EADS Naval. Es ist nicht umsonst eine französische Erfindung, denn bei dem Luft- und Raumfahrtkonzern EADS haben die Franzosen schon einmal vorexerziert, was sie unter Europa verstehen: Sie sagen Europa und meinen französische Hegemonie. Dies soll ihnen nun auch durch Anwendung der "deutsch-französischen Freundschaft" im Bereich der Navalindustrie gelingen.

Daher kommt das Buch von Christian Ostersehlte gerade zur rechten Zeit, um an die großen Traditionen deutschen Marineschiffbaus zu erinnern. Ostersehlte hat mehr als ein Erinnerungsbuch für Marine-Nostalgiker geschrieben. Es ist eine Enzyklopädie, die an der Unternehmensgeschichte des Kieler Schiffs- und Technologiekonzerns HDW die historische Entwicklung des gesamten deutschen Schiffbaus nachzeichnet. Von seiner international völlig unbedeutenden Position Mitte des 19. Jahr­hunderts ausgehend erweist er sich bereits gegen dessen Ende zu Höchstleistungen fähig und findet Anschluß an die damals führende Schiffbaunation Großbritannien.

Anschaulich wird das Buch durch seine reiche Bebilderung und vielen Originalzitate. Ganz en passant werden dadurch 160 Jahre Sozialgeschichte des industriellen Arbeitsverhältnisses erlebbar. Besonders positiv hervorzuheben ist, mit welcher Präzision bis hin fast zur Detailverliebtheit der Autor, ein promovierter Schiffahrts- und Schiffbauhistoriker, die Rolle der HDW in der NS-Zeit beleuchtet. Hier wird beschrieben und deutlich gemacht, wie unpolitisch und willentlich sich die Werftherren der HDW von den neuen Machthabern in ihre Aufrüstungspläne haben einspannen lassen und auch vor dem Einsatz von Zwangsarbeitern nicht zurückschreckten.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die HDW als einzige deutsche Großwerft nicht demontiert. Nachdem das generelle Schiffbauverbot der Potsdamer Konferenz 1945 einer völligen maritimen Entmündigung Deutschlands gleichkam und durchaus die Ausschaltung mißliebiger Konkurrenz bewirken sollte, war es der Mut ihres Vorstands Adolf Westphal, der nachhaltige Einsatz der Kieler und Hamburger Bürgermeister sowie Flexibilität und Einsatzwille der aus Krieg und Gefangenschaft zurückgekehrten gut ausgebildeten Arbeiterschaft, welche die HDW gegen alle Fährnisse allmählich wieder zur vollwertigen Werft entwickelten. Sie überwanden in bemerkenswerter Weise die industrielle und technologische Diskontinuität der Nachkriegszeit: So wurde das erste deutsche Nachkriegs-U-Boot der Klasse 201 erst im Jahre 1961 unter engen Größenrestriktionen fertiggestellt.

Doch galt es bereits als das modernste konventionelle U-Boot der Welt. Es folgte die bis heute in Dienst stehende U-Boot-Klasse 206, ihr schloß sich die Klasse 209 an, welche bereits ein weltweiter Exportschlager war und ist. Mit der aktuellen, brennstoffzellenbetriebenen U-Bootklasse 212/214 ist ein weiterer technologischer Quantensprung gelungen: Sie und ihre zu erwartenden Weiterentwicklungen beginnen eine Substitutionsmöglichkeit für die teuren nuklear betriebenen U-Boote der Sicherheitsratsmitglieder darzustellen und sehen sich damit einem enormen Marktpotential gegenüber, welches Deutschland angesichts französischer Begehrlichkeiten hoffentlich erhalten bleibt!

Die Darstellung der heutigen HDW gerät Ostersehlte, wohl auch aufgrund der Quellenlage, etwas knapp. Dem Boom der Nachkriegszeit folgte in den neunziger Jahren eine von heftiger ostasiatischer Konkurrenz gekennzeichnete Periode, welche die HDW nur durch Verteidigung und Ausbau ihrer technischen Führerschaft überstehen konnte. Hier versäumt der Autor denn auch, die Rolle von Dirk Rathjens, dem späteren Vorstandsvorsitzenden der HDW, herauszuarbeiten: Rathjens' Verdienst bleibt, der Werft durch Konzentration auf die Weiterentwicklung des U-Bootsbaus ihre heutige Stellung und ihren Wettbewerbsvorsprung insbesondere vor dem französischen Staatskonzern gesichert zu haben. Werden die Konzernherren von Thyssen mit diesem Erbe behutsam umgehen?

Foto: Brennstoffzellenbetriebene Klasse 212 A, hier die U31 der Bundesmarine: Die modernste Unterwassertechnologie der Welt

Christian Ostersehlte: Von Howaldt zu HDW. Verlag Koehler & Mittler, Hamburg 2004, 592 Seiten, Großformat gebunden, Abbildungen, 59,80 Euro


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen