© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/05 01. Juli 2005

Eislaufen wieder erlaubt
Rechtschreibreform: Wer durchschlägt den Gordischen Knoten?
Thomas Paulwitz

Die Geschichte der Reform der Rechtschreibung zeigt einen langjährigen Kampf zwischen Willkür und widerstand. Diesen Satz müßten wir heute tatsächlich in Kleinschreibung setzen, wäre 1973 nicht ein mutiger Kultusminister beherzt dazwischengegangen. Zu einer solchen rückgratgesteuerten Leistung sind die heutigen Kultusminister und Ministerpräsidenten allerdings derzeit offenbar nicht imstande, wie sie auf ihren Konferenzen im Juni deutlich zeigten. Die Kultusministerkonferenz (KMK) verschärfte das Rechtschreibchaos mit ihrem Anfang Juni gefällten Beschluß, die Rechtschreibreform ab 1. August an den Schulen teilweise verbindlich zu machen. Auf der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) am 23. Juni konnten sich die CDU-Länderchefs nicht mit ihrem Antrag durchsetzen, die Übergangsfrist für die Reform um ein Jahr zu verlängern. Damit hätte der Rechtschreibrat die Möglichkeit erhalten, bis zur Einführung wenigstens den gröbsten Unfug aus dem reformierten Regelwerk zu streichen.

Jetzt schiebt die Union der SPD den Schwarzen Peter zu. Günter Nooke, der kultur- und medienpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, klagt: "Es ist eine kultur- und bildungspolitische Katastrophe, daß die verunglückte Rechtschreibreform nun zum 1. August 2005 für Schulen und Behörden verbindlich wird." Der Korrekturversuch, mit dem Rat für Rechtschreibung unter der Führung von Hans Zehetmair "ein annehmbares Gesamtkonzept zu erzielen, welches den Namen 'Reform' auch wirklich verdient", sei von den SPD-geführten Ländern "kurz vor dem Ziel fahrlässig blockiert" worden, so Nooke.

KMK und MPK verstecken sich hinter dem Prinzip der Einstimmigkeit ihrer Entscheidungen. Doch diese Mauer können eigenständig Denkende durchaus durchbrechen, wenn sie den Mut dazu aufbringen. Die beiden Gremien sind nämlich reine Koordinierungseinrichtungen ohne verfassungsrechtliche Bedeutung. Die letzte Entscheidung haben die einzelnen Landesregierungen zu treffen. Der baden-württembergische Kultusminister Wilhelm Hahn wollte vor 32 Jahren einen einstimmigen Beschluß der KMK nicht länger mittragen, der auf die Einführung der gemäßigten Kleinschreibung hinausgelaufen wäre. Der CDU-Politiker rückte in einem Gespräch mit der Welt von dieser Entscheidung ab; weitere CDU-Kultusminister folgten ihm. Die Pläne der Sprachveränderer brachen wie ein Kartenhaus in sich zusammen, so daß die Bestrebungen zur staatlichen Sprachlenkung in den nächsten Jahren keine Chance mehr hatten.

Hahn hatte sein Vorgehen damit begründet, daß man die Schulen nicht dazu benutzen dürfe, politische Ziele mit Zwangsmaßnahmen durchzusetzen. Heute entfaltet dieses Argument offenkundig nur schwache Wirkung auf die politisch Verantwortlichen. Gegen alle Widerstände versucht eine seltsame Allianz aus Kultusbürokraten, Ideologen und Verlegern, die Rechtschreibreform auf Kosten der Sprachgemeinschaft, vor allem der Schüler, durchzupauken.

In dieser Situation trifft sich an diesem Freitag unter der Leitung von Hans Zehetmair (CSU) der Rat für deutsche Rechtschreibung. Der Rat hat bereits auf seiner Juni-Sitzung mit Zweidrittelmehrheit beschlossen, Veränderungen an der Rechtschreibreform zu empfehlen. Demnach soll sich die Reformregelung der Getrennt- und Zusammenschreibung (Paragraph 34) wieder stärker am Sprachgebrauch ausrichten. Dadurch würden viele von der Reform verbotene Wörter wieder erlaubt, zum Beispiel eislaufen, fertigmachen, heiligsprechen, abwärtsgleiten, dazwischenkommen. Bei kennenlernen schlägt der Rat vor, beide Schreibweisen zuzulassen.

Einen Tag, bevor der Rechtschreibrat seine Empfehlung beschloß, hatte die Kultusministerkonferenz jedoch bereits das Teilinkrafttreten strittiger Teile der Reform zum 1. August verkündet, obwohl der Rat sie noch überarbeiten will. Wieder einmal versuchte die KMK also, den Rat an die Leine zu nehmen. Offenbar hatten die Kultusbürokraten nicht mit so viel Eigeninitiative gerechnet, als sie im Dezember einen Rat ins Leben riefen, der überwiegend aus Reformbefürwortern besteht. Der Kulturausschuß des Bundestages reagierte in einer öffentlichen Sitzung am 15. Juni mit Unverständnis auf diese Entscheidung der KMK. Unter Zehetmair, der diesen Beschluß offen kritisierte, scheint sich der Rat weiter zu verselbständigen und mit der Zeit in Gegensatz zur KMK zu geraten.

Der Präsident des Lehrerverbandes, Josef Kraus, befürchtet aufgrund der KMK-Beschlüsse eine "Zwei-Klassen-Schreibung". Kraus wies darauf hin, daß die Rechtschreibreform nur für Schulen und Behörden verbindlich werde: "Jeder Staatsbürger, jeder Journalist, jeder Autor kann schreiben, wie er will - konnte er übrigens bislang auch schon. Ich hoffe nicht, daß wir eine Zwei-Klassen-Schreibung bekommen."

Der Verfassungsrechtler und frühere Bundesverteidigungsminister Rupert Scholz empfiehlt den CDU-Ministerpräsidenten, sich nicht um KMK und MPK zu kümmern. Der Welt sagte er: "Ich würde den CDU-regierten Ländern, die die Verschiebung wollen, raten, daß sie einfach aus dem ursprünglichen Beschluß, das Zeug jetzt einzuführen, aussteigen." Dafür gebe es keinen rechtlichen Hinderungsgrund.

Das wäre jedenfalls eine gute Gelegenheit für Jürgen Rüttgers, so bald wie möglich sein Wahlversprechen zur Rechtschreibreform einzulösen. Dieser hatte nämlich vor der Wahl versprochen: "Die CDU wird nach einem Wahlsieg bei der Landtagswahl im Mai 2005 dafür sorgen, daß man zu den bewährten Regeln zurückkehrt." Wenn das bevölkerungsreichste Bundesland jetzt ausstiege, kippte die Rechtschreibreform wohl endgültig. Vielleicht findet sich ja doch noch ein neuer Wilhelm Hahn, der den Mut hat, den Gordischen Knoten zu durchtrennen.

 

Thomas Paulwitz ist Schriftleiter der vierteljährlich erscheinenden Zeitung " Deutsche Sprachwelt" (Postfach 1449, 91004 Erlangen, Tel.: 0 91 31 / 48 06 61, Fax: 0 91 31 / 48 06 62, E-Post: schriftleitung@deutsche-sprachwelt.de).


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