© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/05 01. Juli 2005

Reblaus gegen Abendmahlswein
Mafiosi wollen der Passion Christi Konkurrenz machen: Das Dorf Heersum in Niedersachsen fordert Oberammergau heraus
Robert Backhaus

Norddeutschlands Antwort auf Oberammergau!" So tönt es, vor Selbstbewußtsein strotzend (und verstärkt durch den Norddeutschen Rundfunk), aus dem 450-Seelen-Dörfchen Heersum in der Hildesheimer Börde, wo sich, immerhin schon zum neunten Mal, die "Heersumer Volksfestspiele" zur Sommerpremiere 2005 anschicken (Aufführungen bis 4. September). Die Festspielleitung rechnet mit Tausenden von Zuschauern, die - wie es heißt - "in das Geschehen einbezogen werden", ob sie wollen oder nicht.

Festspielleiter Uli Jäckle verspricht "derbes, geiles Volkstheater vom Feinsten". Ein Gutteil der Einwohnerschaft von Heersum beteiligt sich an dem Spektakel. Es geht um eine skurrile Mafia-Story, um einen "Bruderzwist im Hause Niedersachsen" (Jäckle), und am Ende siegt mit Ach und Krach das Gute, obwohl sich alle Beteiligten ohne Unterschied reichlich mit Mist bekleckert haben.

Was aber hat das alles mit den Oberammergauer Passionsspielen zu tun, die seit 1634 alle zehn Jahre zur Erinnerung an die Passion Christi stattfinden? Diese waren einst aus der tiefen Not des Dreißigjährigen Krieges heraus installiert worden, als eine Art Gebet mit verteilten Rollen gewissermaßen, als Matthäus-Passion ohne Musik. Die Oberammergauer wollten ihre Angst vor Pestilenz und Plünderung und Brandschatzung überspielen, ihr Agieren war ein Verzweiflungsakt, ein Tanz über Gräbern. Läßt sich so etwas einfach nachmachen?

Man kann ja inzwischen eine Menge Abfälliges und Maliziöses über die Oberammergauer Spiele sagen, über die Primitivität und Einfalt der Darstellung, über die falschen Bärte der Schauspieler, über die christusfernen kommunalen Verwertungsinteressen, die sich der Spiele im Laufe der Zeiten bemächtigt haben. Eines aber kann man nicht: sie als beliebiges oberbayerisches Touristenspektakel hinstellen, das nun vor der Konkurrenz aus Heersum in Niedersachsen zittern muß.

Heersum gegen Oberammergau - das ist wie Reblaus gegen Abendmahlswein. Daran ändert auch die Geilheit der Heersumer Vorgänge nichts, und wenn noch so viele Besucher "einbezogen" werden.


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