© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/05 01. Juli 2005

BRIEF AUS BRÜSSEL
Europa am Scheideweg
Andreas Mölzer

Die europäische Verfassung, die im EU-Konvent von der EU-Nomenklatur ausgehandelt worden war, mit all ihren Tendenzen hin zum zentralistischen Superstaat, gilt allgemein als gescheitert. Auch die künftige Finanzierung der Europäischen Union beziehungsweise der geplante Konsens dafür ist seit dem jüngsten Gipfel als gescheitert zu betrachten. Damit ist aber die weitere Finanzierung der EU-Osterweiterung ab 2007 nicht entsprechend garantiert. Geschweige denn die Aufnahme neuer Mitglieder wie Rumänien und Bulgarien oder die Kosten für den großen Beitrittsaspiranten Türkei.

Neben dem Unbehagen der Bürger an der Entwicklung der Union und dem Unwillen der Nettozahler-Regierungen, noch tiefer in die Tasche zu greifen, stehen hinter der gegenwärtigen Krise der EU grundsätzliche Auffassungsunterschiede über die Ziele der europäischen Integration. Die Briten etwa haben einmal mehr klargemacht, daß sie nichts anderes wollen als eine bessere Freihandelszone, in der sie möglichst unbehindert ihre Geschäfte machen können, ansonsten aber die Interessen des Vereinigten Königreichs ohne jede Einschränkung und Souveränitätsverminderung wahren können. Vielmehr geht es ihnen darum, ihre transatlantische Solidarität mit den USA - siehe Irak-Krieg - wahren zu können, anstatt europäische Solidarität üben zu müssen.

Die Franzosen hingegen vertreten das Modell einer politischen Union, in der allerdings möglichst sie die erste Geige spielen wollen. Als Zentralisten können sie sich gar nichts anderes als ein tendenziell zentralistisches europäisches Staatsgefüge vorstellen. Und als Etatisten, als Vertreter eines etatistischen Nationsbegriffs, der keine ethnischen Minderheiten und keine Nationalitätenvielfalt duldet, haben die Franzosen in Wahrheit primär die eigene "Gloire" und natürlich die Erhaltung und Dominanz der Frankophonie im Sinn. Für die Erhaltung der ethnisch-kulturnationalen Vielfalt in Europa allerdings fehlt ihnen weitgehend das Verständnis.

Angesichts dieser Unzulänglichkeiten und der tiefen Krise, in die das Scheitern der Verfassung und des Finanzgipfels die Europäische Union gestürzt hat, stellt sich die Frage, welchen anderen Weg müßte Europa einschlagen, um die Menschen zu überzeugen? Die vom jüngsten EU-Gipfel beschlossene "Nachdenkpause" in Hinblick auf die Verfassung ist da wohl ein untauglicher Weg.

Sie soll offenbar nur dazu dienen, die Strategie der Verfassungsbefürworter zu verbessern, um die kritischen Bürger der EU-Staaten doch noch zu übertölpeln. Ein Unterfangen, das neuerlich beweist, wie sehr man den Bürgerwillen im Kreise der Eurokraten mißachtet, wie sehr man dem Volk mißtraut und wie wenig man wirklich von Demokratie hält.

Sowohl die Ablehnung der bloßen Freihandelszone als auch das Scheitern des auf bürokratischen Zentralismus hinzielenden Verfassungsentwurfs lassen nur einen Schluß zu: Das sich integrierende Europa muß sich als Staatenbund, als Konföderation gestalten, die zwar nach außen mit einer einigen und starken Stimme spricht, die aber nach innen größtmögliche Subsidiarität und größtmöglichen Föderalismus pflegt.

Ein Europa, in dem sich die nationalen Kulturen, die europäischen Sprachen, also die Völker, in größtmöglicher Entfaltung entwickeln können.

 

Andreas Mölzer, Publizist, ist FPÖ-Mitglied und seit 2004 EU- Abgeordneter.


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