© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/05 01. Juli 2005

Münchhausen fliegt in Kaliningrad
750 Jahre Königsberg: Zu den Jubiläumsfeiern treffen sich Kanzler Schröder und Präsident Putin
Bernhard Knapstein

Eigentlich ein ungeheures Ereignis, jenes Treffen zwischen dem deutschen Bundeskanzler Gerhard Schröder und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin in Königsberg anläßlich der 750-Jahr-Feierlichkeiten der Stadt. Es ist das erste derartige Gipfeltreffen im Nachkriegs-Königsberg, das im Juni 1946 offiziell in Kaliningrad umbenannt wurde - nach dem kurz zuvor verstorbenen Vorsitzenden des Präsidiums des Obersten Sowjets, Michail Iwanowitsch Kalinin, dem formalen Staatsoberhaupt der Sowjetunion, der übrigens niemals dort war.

Das Programm der seit 1991 nicht mehr sowjetischen, sondern russischen Stadtverwaltung ist rein quantitativ gewaltig. Kranzniederlegungen, protokollarische Empfänge, feierliche Eröffnungen von Gebäuden und Parkanlagen, Umzüge und Rundtouren, Ausstellungen, Konzerte und Theateraufführungen, Sportveranstaltungen, Rundflüge sowie sonstige Festivitäten. Hinzu kommen Projekte von deutschen Vertriebenen- und anderen Organisationen.

Dennoch, der schöne Schein trügt: Die offiziellen Kranzniederlegungen betreffen ausschließlich russische Gefallene. Der 690jährigen preußischen deutschen Geschichte der Stadt wird nur am Rande und mit einem Kostüm-Umzug eher persiflagenhaft gedacht. Vertriebene Ostpreußen durften zwar erhebliche Geldsummen für Königsberger Parkanlagen, den Königsberger Dom und Kulturobjekte aufbringen, erhalten aber zum Teil kein Visum für eine Einreise. Drei Veranstaltungen haben sogar einen russisch-nationalistischen Farbton. Nahezu alle anderen Projekte bieten keine Möglichkeit für eine historische Reflexion. Die löbliche Ausnahme bestätigt auch hier nur die Regel: Das historische Königstor, welches auch in das Jubiläumslogo Eingang gefunden hat, ist restauriert worden und wird nun feierlich eröffnet.

Im Juni wurde sogar dem berühmten "Lügenbaron" Münchhausen unweit der Luisenkirche ein Denkmal gesetzt - gestiftet von der niedersächsischen Partnerstadt Bodenwerder, der Geburtsstadt von Karl Friedrich Hieronymus Freiherr von Münchhausen (1720-1797). Die von dem deutschen Künstler Georg Petau gestaltete Metallplatte zeigt die Silhouette des Barons, wie er gerade auf der Kanonenkugel reitet. Die Szene ist der Geschichte entlehnt, in der Münchhausen auf seiten der russischen Armee im Krieg gegen die Türken kämpft und einen Aufklärungsflug auf einer Kanonenkugel unternimmt.

Die Ereignisse werden in ihrer Gesamtheit dennoch als Rock-Pop-Böller-Party für Reiche inmitten einer verarmenden Region erscheinen, vermuten Königsberg-Kenner. Typisch russisch halt. Das Jubiläum bietet unterm Strich keinen Grund, deutsch-russische Annäherungen aufgrund historischer Aufarbeitung zu vermuten. Doch auch eine russisch-europäische Annäherung ist nicht ersichtlich. Die EU-Länder Polen und Litauen geben sich derzeit verschnupft. Ihre Staatschefs wurden nicht nach Królewiec/Karaliaucius, wie Königsberg auf polnisch beziehungsweise litauisch heißt, eingeladen. Die Themen "Katyn" (Ermordung der polnischen Offizierselite durch sowjetische Geheimdiensttruppen 1940) und "EU-Schengen" (freier Zugang zum russischen Nord-Ostpreußen/Oblast Kaliningrad über litauisches Gebiet) haben die Beziehungen zu Moskau abgekühlt. Die Einladung Schröders nach Königsberg dürfte als zusätzlicher Affront verstanden werden. Dabei hat die Bundesregierung nicht den Hauch eines eigenen politischen Interesses an Königsberg und Ostpreußen.

Freilich, die Region könnte durch ein europäisches Korsett aufgerichtet prosperieren. Grenzüberschreitende Aktivitäten zwischen Litauen, Rußland und Polen, gefördert aus europäischen Strukturfonds, da ließe sich so manches machen. Fürsprache aus Berlin tut not. Doch hierzulande wissen nur wenige etwas von der seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges dreigeteilten Region. Man war vielleicht schon einmal im heute zu Polen gehörenden Masuren und hat auch schon mal etwas über "Aids in Kaliningrad" gelesen. Doch spätestens das nun litauische Memelland ist für die meisten ein weißer Fleck auf der EU-Landkarte. Genau diese Unkenntnis korrespondiert allerdings auch mit den dortigen Verhältnissen.

Ulla Lachauer hat das real existierende 19. Jahrhundert im Memelland in ihrer "Paradiesstraße" beschrieben. Dort, nördlich der Memel, leben sie noch, die Kleinstbauern mit einer Kuh, ohne fließend Wasser, ohne Strom, ohne Briefkasten. Nur Memel (Klaipeda), das Haupt der Region, prosperiert. Der noch zu Sowjetzeiten aus strategischen Gründen groß ausgebaute Ostseehafen wird von Fähren mit Touristen aus Skandinavien und Deutschland angelaufen. Die Güterschiffahrt läuft den Hafen an, um den Transfer von Im- und Export für das Baltikum zu bedienen.

Tausende Touristen suchen jährlich beim Flanieren durch die Stadt nach dem Ännchen-von-Tharau-Brunnen, wo ein Straßenmusikant das gleichnamige Lied anspielt. Die meisten Touristen zieht es dann auf die Kurische Nehrung, jene Landzunge, die das Haff von der Ostsee abtrennt. Unweit der seit 1991 nun litauisch-russischen Grenze liegt Nidden, die Sommerfrische der Familie Mann, eine Art Gegen-Toskana, von Künstlern und Touristen geliebt. Entsprechend hoch sind die Preise.

EU-Integration ist langfristig wohl kaum zu verhindern

Zurück in den Süden Ostpreußens, das touristische Schmankerl der ehemals preußischen Provinz. Unter den rund 30.000 noch heute in der Wojewodschaft Ermland und Masuren lebenden Deutschen sind viele in Landwirtschaft und Tourismus tätig. Gerade die deutschen Bauernhöfe profitieren von den bundesdeutschen Urlaubern. Trotz Tourismus ist die Wojewodschaft wirtschaftliches Schlußlicht in Polen.

Es mangelt an Infrastruktur. Mit ihr kämen auch Arbeitsplätze, glauben Wirtschaftsexperten. Flughafen, Autobahn und moderne Freizeitangebote fehlen. Auf Wojewodschaftsebene zeigt man sich an der regionalen Entwicklung desinteressiert und läßt die Kommunen mit ihren Problemen allein. Aber auch Investoren sprechen nicht mehr mit der Wojewodschaftsverwaltung und verhandeln direkt in Warschau.

So beabsichtigt derzeit ein internationales Investorenkonsortium den Bau eines großen Flughafens zwischen dem westpreußischen Deutsch Eylau und dem ostpreußischen Osterode. Obwohl der Flughafen für den Gütertransport geplant wird, soll er auch für den Personenverkehr geöffnet werden. Dies eröffnet der Region völlig neue Möglichkeiten, nachdem ähnliche Projekte in Ortelsburg und in Allenstein an politischen Querelen und an Korruptionshürden gescheitert waren. Der Ausbau der grenzüberschreitenden Infrastruktur innerhalb einer EU-geförderten Region, die man "Euroregion Prussia" nennen könnte, wäre ein erster Schritt in die richtige Richtung. Jede Teilbetrachtung, wie sie derzeit zugunsten Königsbergs stattfindet, geht an dem eigentlichen Problem vorbei. Alle drei Teile Ostpreußens müssen gleichberechtigt aufgebaut werden.

Die europäische Integration Königsbergs ist auf lange Sicht nicht zu verhindern. Moskau hat viel zu gewinnen, wenn es in dieser Frage keine Mauern aufbaut. Es hat aber auch viel zu verlieren, wenn es sich einer Öffnung versperrt. Geopolitische Strategen der CIA rechnen mit einer Einbettung Königsbergs in die EU bis zum Jahr 2015. Selbst wenn sich die Geheimdienstler hierbei irren sollten, so kann die Problemzone Ostpreußen dennoch niemand mehr leugnen. Nicht ohne Grund hat daher die russische Duma Anfang Juni das neue Gesetz "Über die Sonderwirtschaftszone im Kaliningrader Gebiet" beschlossen, das im Herbst 2005 in Kraft treten soll. Die Großinvestoren müssen demnach unter anderem sechs Jahre lang keine Gewinnsteuern zahlen, weitere sechs Jahre gilt für sie nur der halbe Steuersatz.

Die wie auch immer geartete Wiedervereinigung der dreigeteilten Region ist auf lange Sicht, um ein Wort des früheren Bundeskanzlers Helmut Kohl (CDU) im Zusammenhang mit der Euro-Einführung zu verwenden, eine "Frage von Krieg und Frieden". Moskau, Berlin und Brüssel sind gut beraten, im europäischen Kontext eine Lösung zu finden. Die Anfang der neunziger Jahre kurz diskutierte Umbenennung in Kantstadt (nach dem berühmten deutschen Philosophen) wäre ein vielversprechenden Anfang gewesen.

Foto: Verkehr vor dem Königsberger Königstor: Soll nach Restauration nun feierlich wiedereröffnet werden, Logo "750 Jahre Kaliningrad"


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