© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/05 01. Juli 2005

Zwischen Etikettenschwindel und Schönfärberei
Bevölkerungspolitik: Weniger ausländische Staatsbürger in Deutschland / Zahl der Einbürgerungen gestiegen / Ausländerbericht der Bundesregierung
Kurt Zach

Unsere Gesellschaft ist ethnisch, religiös und sprachlich vielfältiger als je zuvor", freut sich die "Migrationsbeauftragte" der Bundesregierung, die Grüne Marieluise Beck, bei der Präsentation des sechsten "Berichts zur Lage der Ausländer in Deutschland". Und das, obwohl Beck mit der erstaunlichen Mitteilung aufwarten kann, in Deutschland lebten "deutlich weniger Ausländer als bisher angenommen": Die Zahl sei seit 2003 um 600.000 auf 6,7 Millionen gesunken, der Anteil an der Gesamtbevölkerung liege demnach bei 8,0 und nicht bei 8,9 Prozent.

Ein Etikettenschwindel offensichtlich; denn zugleich ist schließlich die Zahl der "Migranten mit einem deutschen Paß" deutlich gestiegen. Seit Änderung des Staatsbürgerschaftsrechts im Jahr 2000 haben mehr als eine Million Ausländer einen deutschen Paß erhalten, darunter 200.000 Kinder ausländischer Eltern, die aufgrund des Geburtsrechts die deutsche Staatsangehörigkeit erworben haben. Insgesamt liegt die Zahl der eingebürgerten Ausländer bei 1,8 Millionen. Die Tendenz ist verlangsamt, aber weiter steigend.

Alles in allem leben in Deutschland mehr als 14 Millionen Personen in Einwandererfamilien (im Beauftragten-Jargon: "Menschen mit Migrationshintergrund"). Dazu zählen laut Beck auch 4,5 Millionen Aussiedler und 1,5 Millionen Kinder mit einem ausländischen Elternteil.

Jedes vierte Neugeborene in Deutschland hat mindestens einen ausländischen Elternteil, jede fünfte Ehe ist binational. In einigen städtischen Ballungsgebieten stammen 40 Prozent der Jugendlichen aus Einwandererfamilien - auch hier zeigt die Kurve nach oben. Zuwanderung findet längst in großem Umfang über den Kreißsaal statt, wie auch die Zahlen des Migrationsberichts belegen. Ein Siebtel der hier lebenden Afrikaner, ein Zehntel der Asiaten und mehr als ein Viertel der Europäer, die sich in Deutschland aufhalten - gemeint sind jeweils die Anteile an den 2003 "offiziell" erfaßten 7,3 Millionen Ausländern -, sind bereits hier geboren. Zu den Europäern zählt die Statistik des Beck-Berichts im übrigen auch die Türken. Bei dieser Einwanderergruppe lag der Anteil der hier Geborenen 2003 bei mehr als einem Drittel - 650.000 von 1,88 Millionen.

Die Frage, ob Deutschland ein Einwanderungsland sei, habe sich "angesichts dieser Fakten erledigt", verkündet Beck offenkundig nicht ohne Genugtuung: "Multikulturalität ist schlicht die Tatsache." Sie selbst bevorzugt beim Blick auf diese Fakten die rosarote Brille. "Kulturelle und religiöse Vielfalt werden das Leben in unserer Gesellschaft von Generation und Generation stärker kennzeichnen", sagt die Migrationsbeauftragte. Das ist eine schöne Umschreibung dafür, daß in einigen städtischen Ballungsräumen der Einwandereranteil an den Jugendlichen bei bis zu 40 Prozent liegt. Beck sieht das freundlich-folkloristisch: "Unsere Kinder haben heute russische Großmütter, jugoslawische Onkel und türkische Tanten."

Nur am Rande streift der Bericht den sozialen Sprengstoff, der in einer Entwicklung steckt, die vielen Großstädten in wenigen Jahren und Jahrzehnten ausländische Bevölkerungsmehrheiten garantieren dürfte, wenn diese Jugendlichen Erwachsene sein und die Babyboomer-Generationen das Rentenalter erreichen und abtreten werden. Es gebe schon einige Wohnquartiere in den Städten, "die zu kippen drohen". Solche Viertel, in denen eben mehrere "Problemfaktoren" zusammenkämen, dürften nicht sich selbst überlassen bleiben.

Der Glaube an die Allmacht staatlicher Fürsorge und Wohlfahrtsbevormundung zieht sich wie gehabt durch den ganzen Bericht. Gleich, ob der Anteil der Ausländer an den "unteren sozialen Schichten" überdurchschnittlich ist, der Anteil der Jugendlichen ohne berufliche Qualifizierung mit über 40 Prozent alarmierend hoch, Gewalt gegen Frauen und in der Familie bei bestimmten Bevölkerungsgruppen an der Tagesordnung ist und die Kriminalitätsbelastung trotz aller Rechenkunststücke (Beck will sogar die von Illegalen begangenen Straftaten aus der Kriminalitätsstatistik herausrechnen, weil diese sich ja auf die registrierte Wohnbevölkerung beziehe) nach wie vor über dem Durchschnitt liegt - der Weisheit letzter Schluß am Kapitelende lautet regelmäßig: Die "Hilfsangebote" müßten erhöht, verstärkt, intensiviert werden.

Der Rest ist Schönfärberei. Der verheerenden Sozialstruktur der Einwanderer wird entgegengehalten, "Migranten" fänden sich heute "auf jeder Stufe der sozialen Leiter" - weiter oben halt nicht so viele. Der miserable Bildungsstand eines Großteils der Einwanderer wird mit der "Abhängigkeit des Bildungserfolgs von der sozialen Herkunft" und nicht mit der bewußten Integra-tionsverweigerung vor allem muslimischer Einwanderergruppen erklärt. Von den sozialen Verwerfungen, die aus dieser Gemengelage in Zeiten leerer Kassen und sinkender Sozialleistungen drohen, macht sich der Migrationsbericht kein realistisches Bild - von Lösungsansätzen ganz zu schweigen.

Foto: Ausländische Schüler im Unterricht: Russische Großmütter, jugoslawische Onkel, türkische Tanten


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