© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 26/05 24. Juni 2005

Alles wird doppelt so teuer
Energieprognose: Bis 2030 sind keine dramatischen Veränderungen zu erwarten / Öl bleibt wichtig / Atomstrom überbewertet
Alexander Barti

Im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit wurde im Mai eine Studie über die "Entwicklung der Energiemärkte bis zum Jahr 2030" veröffentlicht. Die auch als "Energiereport IV" bekannte Untersuchung betreute maßgeblich das Energiewirtschaftliche Institut an der Universität zu Köln (EWI); sie gilt als Wegweiser für die deutsche Energiepolitik.

Jede Prognose ist nur so gut wie ihre Annahmen - besonders wenn sie wie der vorliegende Energiereport ein Vierteljahrhundert weit in die Zukunft schauen möchte. Um nicht unseriöse Kaffeesatzleserei zu betreiben, baute man keine dramatischen Veränderungen in die Annahmen ein.

Die internationale Wirtschaftsleistung wird demnach zwischen 2002 und 2030 um jahresdurchschnittlich knapp drei Prozent steigen. Die Risiken nehmen wegen der weltweit enger werdenden Vernetzung zu. In Deutschland wächst die Wirtschaft um jährlich 1,4 Prozent, die Bevölkerung hingegen nimmt ab und altert stark. Technische Neuerungen werden weiterhin Teil unseres Alltags werden - besonders da dabei auch die Umweltfreundlichkeit im Vordergrund steht, wird der Energieverbrauch bis 2030 in allen Verbrauchssektoren zurückgehen. Private Hauhalte werden 2030 daher 14 Prozent weniger Energie verbrauchen, als noch 2002.

Im Sektor GHD (Gewerbe, Handel, Dienstleistungen) wird der Rückgang sogar 23 Prozent betragen, bei der Industrie sieben Prozent. Große Veränderungen soll es bei dem Energieträgermix geben: Mit Ausnahme der erneuerbaren sinkt die Nachfrage bei allen Energieträgern. Die Stromerzeugung wird sich verstärkt auf Erdgas stützen, die heimische Braunkohle rückt auf Platz zwei. Die erneuerbaren Energien stellen 2030 38 Prozent der Kraftwerkskapazität und decken 26 Prozent der Bruttostromerzeugung.

Steinkohle, Braunkohle und Heizöl werden in der Fernwärmeerzeugung, deren Bedeutung zurückgeht, fast vollständig verdrängt und durch Abfälle und Biomasse sowie Erdgas ersetzt, Kohle verliert insgesamt an Bedeutung. In dem prognostizierten Zeitraum soll erstmals auch der Primärenergieverbrauch in Deutschland langfristig abnehmen. Der Energieverbrauch je Einwohner sinkt um 12 Prozent. Durch diese Veränderungen sinken auch die energiebedingten Treibhausgasemissionen um 18,6 Prozent, die sogenannten Kyoto-Verpflichtung werden erfüllt.

Die Studie geht davon aus, daß es bis 2030 keinerlei Engpässe geben wird, nur die Abhängigkeit der Energieversorgung von politisch und ökonomisch instabilen Förder- und Transitländern wird weiter wachsen, die Versorgungsrisiken nehmen daher zu.

Technischer Fortschritt wird wie in der Vergangenheit dem Trend zur Verschlechterung der Lagerstättenbedingungen bei den Abbauressourcen entgegenwirken. Hiermit sind Abbaugebiete in den Problemzonen der Erde gemeint, wie etwa im ewigen Eis unter den Polkappen oder in der Tiefsee. Technische Verbesserungen erlauben es auch, bis zum "endgültigen" Atomausstieg im Jahr 2020 die Kernbrennstoffe besser zu nutzen. Auf der anderen Seite wird das Potential der erneuerbaren Energien als "gewaltig" bezeichnet. Allerdings räumt der Energiereport auch ein, daß bis 2030 der wirtschaftliche Nutzen von grüner Energie "bescheiden" bleibt.

Die Weltbevölkerung wird im gleichen Zeitraum von sechs auf acht Milliarden Menschen anwachsen, was den Energiehunger weltweit anfacht, da auch das Pro-Kopf-Einkommen weiter zunehmen soll. Trotz der deutlichen Zunahme von erneuerbaren Energie in Deutschland werden 2030 fossile Energieträger mehr als vier Fünftel des Weltenergieverbrauchs decken.

Erdöl wird auch dann noch wichtigster Primärenergieträger sein und 35 Prozent zur Verbrauchsdeckung beitragen. Das hat zur Folge, daß die energiebedingten Emissionen um 60 Prozent steigen werden. Besonders Staaten wie China oder Indien werden in die Liga der "Großemittenten" aufsteigen. Auch der Preis für Energie wird deutlich höher sein, besonders Öl soll doppelt so teuer werden wie heute.

Die weitaus größten fossilen Energiepotentiale bleiben in Form von Kohlen verfügbar. Die Reichweite der Kohlereserven beträgt mehr als 200 Jahre, legt man die heutige Fördermenge zugrunde. Die Gesamtressourcen - also auch in nicht-konventionellen Lagerstätten - sollen hingegen sogar mehr als 1.400 Jahre lang reichen. Der Energiereport leugnet nicht das ungünstige Verhältnis von Gesamtressourcen zum Weltverbrauch bei Erdöl. Der Scheitelpunkt der konventionellen Ölförderung könnte nach Modellrechnungen der Internationalen Energieagentur zwischen 2015 und 2035 erreicht werden.

Dann soll verstärkt nicht-konventionelles Erdöl genutzt werden, etwa Ölsande. Andere Fachleute gehen davon aus, daß der Zenit bei der Ölförderung bereits überschritten ist. Glaubt man einem prominenten Öl-Krisen-Propheten, dem Geologen Colin Campbell, hat das Sterbeglöckchen für das Ölzeitalter schon längst geschlagen. In der von ihm gegründeten Association for the Study of Peak Oil and Gas (ASPO) werden all jene Informationen zusammengetragen, ausgewertet und publiziert, die das nahende Ende des letzten Tropfens untermauern. Campbell warnte bereits 1999 vor dem britischen Unterhaus eindringlich: "Die Entdeckung von neuen Ölreserven erreichte in den sechziger Jahren den Höhepunkt. Heute finden wir für vier verbrauchte Ölfässer ein neues."

Nicht anders sehen es die professionellen Analysten, beispielweise aus dem New Yorker Investmentbankhaus Goldman Sachs. In dem Fachblatt Energy weekly hatte ein Bankfachmann am 11. August 1999 die Fusionswelle bei den Energiefirmen trocken kommentiert: "Die große Fusionswelle ist nichts anderes als das Zurückschrauben einer sterbenden Industrie in Anerkennung der Tatsache, daß 90 Prozent der weltweiten konventionellen Ölreserven bereits entdeckt sind."

Die Zusammenschlüsse waren demnach nichts anderes als die Lebensverlängerung einer "sterbenden Industrie", denn mit den Fusionen konnten auch die Reserven der beteiligten Konzerne schöngerechnet werden. So kann der Energiereport nur ein vager Anhaltspunkt bleiben, denn plötzliche Veränderungen bleiben auch zukünftig eine Konstante menschlicher Existenz.


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