© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  25/05 17. Juni 2005

"Wer das Leben verteidigt, wählt nicht"
Italien: Das Bioethik-Referendum ist an mangelnder Beteiligung gescheitert / Restriktive Gesetze bleiben in Kraft / Sieg für Papst und die Katholische Kirche
Paola Bernardi

Vor nunmehr 32 Jahren stimm ten die Italiener in einem Refe rendum für die Möglichkeit zur Ehescheidung. 1981 bestätigten sie die Legalisierung von Abtreibungen - gegen den vehementen Widerstand des damaligen Papstes Johannes Paul II. Seither zählt Italien zu den europäischen Ländern mit den niedrigsten Geburtenraten und dem spätesten Heiratsalter. Seit vergangenem Montag scheint Italien wieder ein etwas frommeres Land zu sein. Der Ausgang des jüngsten Bioethik-Referendums beweist es: Nur 25,9 Prozent gingen zur Abstimmung; gerade mal einer von vier.

Gültig ist ein Volksentscheid aber nur, wenn eine Beteiligung von mehr als 50 Prozent erreicht wird. Die Mehrzahl der knapp 47 Millionen wahlberechtigten Italiener hingegen folgte dem Aufruf der katholischen Kirche: sich zu enthalten. Allerdings war die Wahlabstinenz im ländlichen Süden teilweise dreifach so hoch wie industrialisierten Norden, wo die meisten Forschungseinrichtungen, Pharma- und Biotech-Firmen ihren Sitz haben.

Selten wurde mit einer solchen Verbissenheit und Leidenschaft um ein Referendum gerungen wie um dieses zur Bioethik. Über die Regelungen zur künstlichen Befruchtung brach im Lande ein wahrer Kulturkampf aus. Plötzlich spaltete sich Italien nicht nur in politische Fronten von Rechts und Links, sondern Befürworter und Gegner wurden schubladisiert in "Fortschrittliche" und "Traditionelle". Jeder schien gegen jeden zu sein, die Spaltung ging quer durch die Parteien, Fraktionen und reichte bis in die Familien.

Mit einem Riesenaufwand wurde diese Kampagne geführt. Seitenlang veröffentlichten die italienischen Tageszeitungen Erklärungen und Diskussionen von Politikern und Privatpersonen. Fernsehsender und Radiostationen zogen nach. Es schien ein Kampf auf Leben und Tod, diesen Eindruck erweckten jedenfalls die Plakate in Rom und Mailand. Große Kinderaugen flehten: "Wer das Leben verteidigt, wählt nicht". Die populäre Schauspielerin Sabrina Ferilli warb mit tiefem Dekolleté für das "Ja", "denn es wird die Zukunft vieler Paare bestimmen". Dieses Thema ließ scheinbar niemanden kalt. Es war, als wollten sich die Bürger mit diesem bioethischen Thema aus der wirtschaftlichen Notlage hinwegdiskutieren, in der sich auch Italien befindet. Dabei ging es letztendlich um eine Materie, die vor allem für Mediziner und Wissenschaftler bestimmt ist.

Mit dem Referendum wollten die oppositionellen linken Parteien, allen voran die kleine linksliberale Radikale Partei, ein Gesetz kippen, das im Januar 2004 von den regierenden Mitte-Rechts-Parteien im Parlament beschlossen wurde. Es ging dabei um die künstliche Befruchtung, beschränkt auf zusammenlebende heterosexuelle Paare, die aus medizinischen Gründen keine Kinder haben können. Das Gesetz schreibt vor, daß jeweils nur drei Embryonen erzeugt werden dürfen; sie müssen der Frau in einer einzigen Implantation eingesetzt werden, die Tiefkühllagerung auf Vorrat ist untersagt. Nicht zulässig sind auch die Untersuchungen der Zellgebilde auf Gendefekte und das Aussondern kranker Embryonen. Außerdem verboten ist das Klonen, die Forschungen von embryonalen Stammzellen sowie die Verwendung von Samen- oder Eizellen dritter.

Ein Gesetz, das den ethischen Vorstellungen der katholischen Kirche entspricht. Nicht nur den linken Parteien war dieses Gesetz mit den vielen Geboten nicht mehr zeitgemäß. Vor allem Mediziner, Pharmazeuten und Biowissenschaftler liefen Sturm und sahen das Ende der zukunftsträchtigen Stammzellenforschung in Italien kommen.

Auch die Feministinnen erhoben ihre Stimme, verlangten ihr Recht auf "Kinder aus der Pipette". Wäre das Referendum erfolgreich gewesen, hätte das bisherige Gesetz geändert werden müssen.

In dieser aufgeheizten Lage erhob der Vorsitzende der italienischen Bischofskonferenz, Kardinal Camillo Ruini, seine Stimme. Er empfahl den italienischen Gläubigen den Wahlboykott. Anstelle einer inhaltlichen Auseinandersetzung, die in diesem Fall für Laien extrem schwierig ist, sollten sie sich enthalten. Dies sei der einfachste Weg, das geltende Gesetz "nicht zu verschlechtern". Ruini befand sich im Einklang mit Papst Benedikt XVI., der diese elegante Lösung billigte und sich "vollinhaltlich" der Haltung der italienischen Bischöfe anschloß.

Kaum war diese kirchliche Empfehlung ausgesprochen, da brach die große Diskussion erst richtig aus. Während die Gegner sich zu den Worten vom "tausendfachen Babymord à la Herodes" verstiegen, sahen die Befürworter nun tiefstes "Mittelalter" aufziehen.

Die Spannungen innerhalb der Regierungskoalition des Casa delle Libertà, aber auch in der linken Opposition über das Referendum nahmen zu. Vizepremier Gianfranco Fini, zugleich Chef der rechtsnationalen Alleanza Nazionale (AN), riskierte Kopf und Kragen, nachdem er sich zu einem Ja bekannte. Er hatte nicht nur die Mehrheit seiner AN gegen sich, sondern ihm wurde auch noch eine Affäre mit der 37jährigen Frauenministerin Stefania Prestigiacomo nachgesagt, die entgegen der Mehrheit von Silvio Berlusconis Forza Italia (FI) ebenfalls mit Ja stimmte.

Der Parteichef des Linksbündnisses Margherita, Francesco Rutelli, wurde hingegen als "Fundamentalist" und "Verräter" beschimpft, als er erklärte, daß er sich enthalten würde. Die militante Linkskatholikin Rosy Bindi wehrte sich gegen die Empfehlung des Kardinals: "Als mündiger Christ gehe ich wählen", so ihre Einstellung. Der frühere EU-Kommissionspräsident und jetzige linke Oppositionsführer Romano Prodi, ein anderer profilierter Linkskatholik, gab sein Votum ab - der als kommender Regierungschef gehandelte Wirtschaftsprofessor verriet allerdings nicht, welches. Ministerpräsident Berlusconi seinerseits hatte sich der Stimme enthalten und kann so einen Sieg für sich beanspruchen.

Nach diesem so deutlichen Ergebnis sehen sich Politiker wie Rutelli, der christdemokratische Parlamentspräsident Pier Ferdinando Casini oder Senatspräsident Marcello Pera (FI) im Aufwind. Die Verlierer sind die Radikalen unter Marco Pannella, der Parteisekretär der linken DS, Ex-Kommunist Piero Fassino, und Staatspräsident Carlo Azeglio Ciampi, der demonstrativ bei der Eröffnung der Wahllokale als erster seine Stimme abgab.

Der größte Gewinner ist die katholische Kirche unter ihrem neuen deutschen Papst Benedikt XVI. Noch in seiner letzten Generalaudienz erklärte er den Gläubigen: "Ist es nicht ein Prinzip der Weisheit, sich zu allem zu enthalten, was Gott hassenswert findet?"

Die Schauspielerin Ferilli wirbt für das Referendum: "Es wird die Zukunft vieler Paare bestimmen"

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