© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  25/05 17. Juni 2005

Unter dem Hammer
Alle Macht den Märkten: Der Ausverkauf der deutschen Wirtschaft schreitet immer weiter voran
Alexander Griesbach

Der Verkauf der defizitären Mobiltelefon-Sparte von Siemens an den taiwanischen Elektronikkonzern BenQ, bei dem Siemens auch noch 350 Millionen Euro drauflegen muß, steht beispielhaft für eine Reihe von Mißerfolgen, mit denen die deutsche Wirtschaft mittlerweile bald tagtäglich konfrontiert wird.

Den Auftakt machte in den 1990er Jahren die von der Regierung Kohl "moderierte" Zerschlagung der Leuna-Werke in Mitteldeutschland. Es folgte die "Übernahme" und in der Folge die Ausweidung des traditionsreichen Mannesmann-Konzerns durch den britisch-amerikanischen Telefongiganten Vodafone mit allen ihren skandalösen Umständen. Daran schloß sich das Ende eines weiteren deutschen Renommier-Konzerns unmittelbar an, der Hoechst AG in Frankfurt, einmal einer der drei größten Chemiekonzerne der Welt. Aus Einzelfällen wurde sehr schnell ein reißender Strom.

Was vor Jahren noch undenkbar erschien, kann heute nicht mehr ausgeschlossen werden: Selbst einstige Vorzeige-Unternehmen wie Daimler-Chrysler oder MAN könnten das nächste Zielobjekt von Hedge-Fonds- oder Private-Equity-Anlegern werden.

Ob diese bedrohliche Entwicklung nun den immer wieder kritisierten Rahmenbedingungen in Deutschland oder wie bei Siemens Managementfehlern (Stichwort: "Nieten in Nadelstreifen") anzulasten ist, ändert nichts an dem Befund, daß es mit der Deutschland AG bergab geht, und zwar offensichtlich immer schneller. Dagegen helfen auch die Durchhalteparolen nicht, wie sie etwa der Würzburger Volkswirtschaftler und "Wirtschaftsweise" Peter Bofinger ständig ausstreut. Er ist davon überzeugt, daß "wir besser sind, als wir glauben", und daß es nur eines schlüssigen Gesamtkonzeptes bedürfe, damit die deutsche Wirtschaft wieder alte Stärke gewinnt.

Die tagtägliche Wahrnehmung sieht anders aus und spricht vor allem eine andere Sprache. Mit schönen ökonomischen Modellen und der ständig wiederholten Phrase, daß die deutsche Wirtschaft von der Globalisierung profitiere, läßt sich die gegenwärtige Malaise nicht mehr übertünchen: "In Deutschlands Wirtschaft herrscht Ausverkaufsstimmung", warnte bereits im November 2004 die Düsseldorfer Wirtschaftswoche und konstatierte, "daß einige große Branchen in Deutschland ganz allmählich von amerikanischen - aber auch britischen - Investoren übernommen werden".

Die Globalisierung und die zeitgleich aufgekommene Deregulierungsideologie, die europäische Einigung und der Aufstieg Asiens, vor allem Chinas, haben dem einst weltweit bewunderten Modell des "rheinischen Kapitalismus" innerhalb weniger Jahre die Grundlagen entzogen. Dessen Kennzeichen, ein breit ausgebauter Sozialstaat und eine Unternehmensphilosophie, die Raum für die Interessen aller Anspruchsgruppen ließ, erweisen sich heute als lästiger Ballast. Diese Machtverteilung zwischen den verschiedenen Interessengruppen war es, die "soziale Gerechtigkeit" deshalb nicht als leere Phrase erschienen ließ, weil sie die wirtschaftliche Ungleichheit im Vergleich etwa zu den USA in Grenzen hielt.

Sie war einer der fundamentalen Unterschiede zum anglo-amerikanischen Wirtschaftsverständnis. Die Betonung liegt auf "war". Heute gehören Tarifverhandlungen für ganze Industriezweige und das hohe Maß an Arbeitsplatzsicherheit, das es bis vor kurzem in Deutschland noch gab, bereits mehr oder weniger der Geschichte an.

Festzuhalten bleibt, daß sich sowohl die Regierung Kohl als auch die Regierung Schröder als Schrittmacher bei der Demontage dieses Wirtschaftsmodells erwiesen haben. Sie wollten die Globalisierung, und sie wollten die immer weitergehende Liberalisierung der Märkte. Kein Tag vergeht, an dem nicht von "Reformen" die Rede ist, die den "Standort Deutschland" "flexibler" machen, sprich: weiter "deregulieren" sollen. Diese Reformen führen, ob gewollt oder nicht, zu einer immer weitergehenden Annäherung an das anglo-amerikanische Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell.

Schrittmacher der marktradikalen Wirtschaftsdoktrin, die die ungezügelte Globalisierung vorantreiben, sind die USA. Hier spielt der "freie Markt", so John Gray, der inzwischen geläuterte ehemalige Cheftheoretiker der Regierung Thatcher, so etwas wie die Rolle einer "inoffiziellen zivilen Religion Amerikas". Zum Selbstverständnis der USA als "Paradigma der westlichen Zivilisation" gehören die Institutionen des freien Marktes. Der "freie Markt" rückt geradezu zum eigentlichen Kriterium für Modernität auf. Die steigende "Reichweite und Verbreitung" freier Märkte, herbeigeführt durch supranationale Organisationen und internationale Netzwerke, ist nach Gray "gleichbedeutend mit der Reichweite und Verbreitung amerikanischer Werte". Daß diese global Gültigkeit beanspruchen, daran lassen nicht nur die Wortführer der Regierung Bush keinerlei Zweifel.

Hier liegt die eigentliche Erklärung für den Sog, der auch die deutsche Wirtschaft erfaßt hat. Der Versuch, diesen Prozeß auf irgendwelche Kapitaleigner personalisieren zu wollen, wie es der SPD-Vorsitzende Franz Müntefering mit seinem Vergleich von Finanzinvestoren mit Heuschreckenschwärmen getan hat, wirkt vor diesem Hintergrund hilflos. Nicht minder hilflos ist es, wenn der Präsident des Bundesverfassungsgerichtes, Hans-Jürgen Papier, allen Ernstes meint, mit bloßen Gesetzesänderungen die Auswüchse der Globalisierung in den Griff bekommen zu können.

Gefordert sind heute nicht überflüssige Gesetze oder verbale Kraftmeierei, sondern Politiker, die bereit sind, sich einzumischen. Es sei daran erinnert, daß Frankreichs Präsident Jacques Chirac und sein damaliger Superminister Nicolas Sarkozy den Aufkauf des deutschen Pharmaunternehmens Aventis AG durch die französische Firma Sanofi aktiv "moderierten", wenn nicht sogar betrieben. Man sei zwar für "Deregulierungen", erklärte Sarkozy, dies dürfe aber nicht dazu führen, daß französische Unternehmen einfach verschwänden. Er, Sarkozy, sei dazu da, in Frankreich Arbeitsplätze zu erhalten. Hat man ähnlich klare Worte jemals von einem deutschen Politiker gehört?

Französische Politiker haben begriffen, daß sie sich in einem "Wirtschaftskrieg" befinden, in dem mit harten Bandagen gekämpft wird. Deutsche Politiker hingegen stellen sich in diesen Fragen gerne tot. Sie sind wohl die einzigen ihrer Spezies, die die neoliberale Parole von der "Eigengesetzlichkeit der Märkte" wirklich ernst nehmen. Konsequenterweise schauen sie zu, wie ein deutsches Unternehmen nach dem anderen "abgewickelt" wird. Darüber kann auch die jüngste Ankündigung von Kanzler Schröder, Investmentgesellschaften stärker kontrollieren zu wollen, nicht hinwegtäuschen.

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