© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/05 10. Juni 2005

Wenn Liebchen Plastinator wird
Gunther von Hagens
von Stefanie Wegner

Hochstapler, Störenfried, Monster? Anfang des Jahres war der umstrittene Erfinder der Plastination und Veranstalter der Ausstellung "Körperwelten", Gunther von Hagens, wieder in den Schlagzeilen durch sein nicht ganz geschmackvolles Vorhaben, in Polen eine "Leichenfabrik" zu errichten und noch dazu seinen Vater, ehemals Mitglied von NSDAP, SS und "Selbstschutz Posen", dort als seinen Statthalter einzusetzen.

Zu von Hagens' 60. Geburtstag am 10. Januar haben ihm seine zweite Ehefrau, Angelina Whalley, und Franz Josef Wetz, ein befreundeter Philosophie-Professor und ethischer Berater, ein Buch gewidmet. Die leicht zu lesende, biographisch angelegte Anekdotensammlung über das Leben und Wirken des Leichenpräparators läßt nach einem kurzen chronologischen Abriß Freunde und Verwandte zu Wort kommen, und es wundert nicht, daß man bei dieser Autorenriege nach wesentlicher Kritik an den ethisch fragwürdigen Praktiken von Hagens' vergeblich sucht. Ein früherer Schulkamerad, ein DDR-Mithäftling, ehemalige Unikollegen, eine Ex-Plastinationsschülerin, sein Sohn und seine Frau Angelina, die eigentlich Andrea heißt - sie alle wünschen Gunther "Alles Gute zum Geburtstag und ein frohes und erfolgreiches Leben weiterhin".

Trotz des Glückwunschkarten-Charakters des reichlich bebilderten Bandes - und wenn man sich erst einmal von dem Anspruch einer seriösen Biographie verabschiedet hat - ist das vorliegende Personenporträt durchaus informativ: So erfährt der Leser, daß von Hagens 1945 als Baby im elterlichen Wäschekorb die Flucht von Posen ins Vogtland überlebte, an der Bluterkrankheit leidet und daher als Kind wochenlang im Krankenhaus zubrachte. Daß er von der sehr kommunistischen und linientreuen Mutter stark geprägt wurde, bis ihm als jungem Erwachsenem immer mehr Zweifel am System der DDR kommen und er 1969 schließlich einen Fluchtversuch unternimmt. Dieser endet in der Strafanstalt Cottbus, wo er unter menschenunwürdigen Bedingungen zum Sozialismus "erzogen" werden soll - eine Grenzerfahrung im wahrsten Sinne des Wortes, die von Hagens stark geprägt hat.

Aufschlußreich zu wissen ist auch, daß Hagens schon immer unkonventionell sowohl im Denken als auch Handeln war. Als langjähriger Assistent am anatomischen Institut in Heidelberg kam der Workaholic immer mehr ab von konventionellen Lehr- und Forschungstätigkeiten und experimentierte unermüdlich mit Methoden der Leichenpräparation. Seine Erfindung der Plastination, mit der er die anatomische Laienaufklärung vorantreiben wollte, und vor allem deren wirtschaftliche Vermarktung sprengte schließlich den Rahmen der Uni als Forschungseinrichtung.

In sich schlüssig ist dann auch seine Wandlung zum Unternehmer der Firma Biodur, die chemische Präparate für die Plastination vertreibt, sowie der umstrittenen Ausstellung "Körperwelten", ein nach Kirgisien, China und USA expandierendes Unternehmen, für das er ständig neue Leichen sucht, die er als selbsternannter "Plastination-Artist" künstlerisch arrangiert.

Was immer man von Gunther von Hagens, der einmal "Liebchen" hieß, halten mag - einfach auf den Punkt zu bringen ist sein Charakter wohl nicht. Er bewegt sich zwischen Missionar, Geizhals, Gönner, Nomade, Sprachengenie, spirituellem Asketen, Möchtegern-Beuys und Dr. Frankenstein. Wahrscheinlich ist Wetz' Bezeichnung als "Grenzgänger" tatsächlich am treffendsten. 

Der Grenzgänger: Begegnungen mit Gunther von Hagens. Arts & Sciences, Heidelberg 2005, geb., 293 Seiten, 19,90 Euro


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