© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/05 10. Juni 2005

Markt für deutsche Handwerker
Schweiz: Ausländische Scheinselbständige und selbsternannte "Ich-AGs" unterbieten die einheimischen Unternehmen
Frank Liebermann

Die Schweiz galt lange Zeit als Paradies für Arbeitnehmer aus dem Ausland: der weltweit vierthöchste Lebensstandard, hohe Löhne bei geringen Abgaben und eine Landschaft mit Bergen und Seen, wie sie nicht schöner sein könnte. Doch im Paradies ist Ernüchterung eingetreten.

Nicht nur die Folgen der Globalisierung haben auch die Schweiz erfaßt. Schwer zu schaffen macht den Eidgenossen auch die neue Rechtslage seit Juni 2004. Umgeben vom EU-Ausland hatte sie zahlreiche Probleme. Nicht nur Zollhindernisse lähmten die Wirtschaft, die jeden zweiten Franken mit dem Export verdient. Die EU erkannte Schweizer Normen und Qualitätsstandards genausowenig an wie Schul- oder Uniabschlüsse. Durch bilaterale Verträgen mit der EU versuchte die Schweiz die negativen Folgen abzufedern.

Seither hat sich die Rechtslage dramatisch verändert. Im Kern sagen die neuen Verträge nichts anderes, als das die EU-Bürger den Schweizern genauso gleichgestellt sind, als wenn sie in einem anderen EU-Land wären. Das hat Konsequenzen. Durften Ausländer bislang nur in "Mangelbereichen" arbeiten (etwa Informatiker oder Pflegekräfte), so ist das heute anders. Jeder EU- Bürger kann ohne großen bürokratischen Aufwand in der Schweiz arbeiten. Hohe Löhne bei geringen Sozialabgaben machen es für Deutsche attraktiv, jenseits der Grenze zu arbeiten. Für die Eidgenossen hat das ernste Konsequenzen. Die Gewerkschaften schimpfen, daß fast jeder dritte Ausländer "Lohndumping" betreibe. Schließlich sind auch die nichttariflichen Löhne der Schweiz deutlich höher als in Deutschland. Im Verhältnis zu Osteuropa ist der Unterschied noch krasser.

Laut einem vom Schweizer Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) veröffentlichten Bericht gibt es seit der Gesetzesänderung massive Probleme. Bei insgesamt 14.000 kontrollierten Personen in verschiedenen Branchen wurden 812 massive Verstöße festgestellt. Dies ist eine Quote von sechs Prozent. Auch die Schweizer Gewerkschaft UNIA sieht Probleme. Kritisch ist die hohe Zahl von Scheinselbständigen. Dabei handelt es sich meist um Deutsche, die eine Ich-AG gegründet haben und jetzt als Subunternehmer für Schweizer Bauunternehmen tätig sind.

Das tun sie für einen geringeren als den ortsüblichen Lohn. Finanziell ist es kein Problem, da diese Personen normalerweise in Deutschland leben und dort den Großteil ihres Lebensunterhalts bestreiten. So kommt es oft vor, daß beispielsweise ein Trockenbauer aus Deutschland für 16 Schweizer Franken (10,40 Euro) arbeitet, während der Schweizer Mindestlohn über 30 Franken (19,50 Euro) beträgt. Bei offiziellen Kontrollen gibt es keine Handhabe gegen diese Praxis, da die EU-Bürger sich schließlich legal in der Schweiz aufhalten und somit auch arbeiten dürfen.

Bislang kein Gesetz gegen Lohndumping

Ein Gesetz gegen Lohndumping gibt es nicht. Solche Beispiele gibt es viele. Von einer Fertighausfirma aus Süddeutschland ist belegt, daß dort die Häuser an einem Tag hochgezogen werden, die Arbeiter darin auf Schlafsäcken übernachten, und dann am nächsten Tag das nächste Haus gebaut wird. Und auch die Arbeitszeiten unterscheiden sich. Es ist keine Seltenheit, daß die Deutschen bis zu zwölf Stunden am Tag arbeiten, was sie zu Hause nie tun würden. Angelockt werden vor allem junge, mobile und flexible Arbeiter, die auch für die gut ausgebildeten Schweizer eine harte Konkurrenz sind.

Die Handwerkskammer in Konstanz weiß genau, was Sache ist. "Unser Nachbarland Schweiz ist ein attraktiver Markt für deutsche Handwerksbetriebe", erklärt sie auf ihrer Internetpräsenz. "Viele Unternehmen machen einen erheblichen Teil ihres Geschäfts in der Schweiz", führt sie weiter aus. Seit dem Gesetz zur Personenfreizügigkeit hat sich der damit verbundene bürokratische Aufwand deutlich verringert. Dank der bilateralen Verträge mit der EU braucht es für Jobs, die nicht länger als 90 Tage dauern, keine Arbeits- und Aufenthaltsbewilligungen mehr.

Es gibt aber auch Unternehmen in der Schweiz, die den Spieß umgedreht haben. Schweizer Handwerker gehen immer öfter nach Deutschland. Zwar sind die Löhne und Materialkosten der Schweizer höher, allerdings haben sie wesentlich geringere Sozialabgaben, und auch ihr bürokratischer Aufwand ist geringer als in Deutschland.

Deutsche, die korrekt arbeiten und nicht scheinselbständig sind, haben nur eine sehr begrenzte Konkurrenzfähigkeit in der Schweiz. Da aber immer mehr sich mit illegalen Methoden und Tricks durchkämpfen, darf man sich nicht wundern, wenn deutsche Arbeitnehmer schon jetzt den Ruf genießen, den Polen oder Ukrainer bei uns haben.

Die Folgen für die Politik sind verheerend. Bei der Volksabstimmung zum Abkommen von Schengen entschieden sich letzten Sonntag die ländlich-deutschschweizer Kantone mehrheitlich gegen die eindringliche Empfehlung von Politik und Medien. Nur die Städter sowie die französische Schweiz sicherten letztlich die 54,6-Prozent-Zustimmung zum freien Grenzverkehr mit der EU.

Im Vorfeld der Abstimmung war die Politik auch eifrig bemüht, Maßnahmen gegen das Lohndumping zu ergreifen. Hätte das Volk nämlich Nein zu dem Abkommen gesagt, hätte die EU die ersten bilateralen Verträge kündigen können. Die Schweiz hätte vor einem Scherbenhaufen ihrer Politik gestanden, warnten die Medien unisono. Exportabhängige Unternehmen drohten für den Fall eines Scheiterns mit der Abwanderung. Doch daß die EU die Verträge wirklich gekündigt hätte, war extrem unwahrscheinlich.

Die nächste Hürde liegt dann im Herbst. Dann darf das Schweizervolk über weitere bilaterale Verträge mit der EU abstimmen. Da es hierbei auch um die volle Freizügigkeit von EU-Neubürgen aus den Arbeitslosenhochburgen Polen oder Slowakei geht, dürfte die Zustimmung noch knapper ausfallen.


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen