© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/05 03. Juni 2005

Der Politikverkäufer
Der britische Historiker Paul Ginsbourg porträtiert den italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi
Paola Bernardi

Fällt der Name Silvio Berlusconi, dann ist das Geschrei riesengroß. Dann platzen friedliche Tischgespräche, enden Telefonate mit abruptem Auflegen, und aus langjährigen Freunden werden über Nacht lebenslange Feinde. Der größte und reichste Medienunternehmer eines Landes, als dessen Regierungschef er auch noch amtiert, läßt niemanden kalt - er polarisiert. Besonders in Deutschland ist kaum eine sachliche Diskussion möglich, wird der italienische Regierungschef Berlusconi von einer Hetzkampagne überzogen, die auch ein solches einmaliges polit-mediatische Phänomen nicht rechtfertigt.

Der englische Historiker Paul Ginsbourg beschrieb entgegen "seiner sonstigen Praxis" einen politischen Prozeß, den Berlusconi mit einem Erscheinen auf der politischen Bühne Italiens in Gang gesetzt hat und der noch lange nicht abgeschlossen ist. Ginsbourg, der an der Universität in Florenz zeitgenössische Geschichte Europas unterrichtet, hat mit seinem Buch "Berlusconi - Politisches Modell der Zukunft oder italienischer Sonderweg" versucht, dem Phänomen dieses Unternehmers, Parteigründers und Ministerpräsidenten nachzuspüren. Die jetzt vorliegende deutsche Ausgabe ist in diesem Frühjahr im Wagenbach-Verlag erschienen.

In unterkühlter wissenschaftlicher und fairer angelsächsischer Manier versucht sich der Historiker der Person von Berlusconi zu nähern, obwohl er wahrscheinlich kein Sympathieträger des derzeitigen italienischen Ministerpräsidenten ist. Der Autor geht der Frage nach, ob Berlusconis Verbindung von Medienbeherrschung und politischer Macht der Prototyp eines neuen Modells politischer Kontrolle in modernen Demokratien sein könnte.

Ginsbourg fragt, ob Berlusconis Populismus nicht besonders gut den Nerv der gegenwärtigen schwachen Demokratien trifft - es geht um die Beziehung zwischen dem System der Medien und der politischen Macht. Weiter wirft er die Frage auf, ob sich die Geschichte wiederholt und Italien wie in den frühen zwanziger Jahren erneut zur Avantgarde des Faschismus werden könnte. Schließlich analysiert Ginsbourg auch die anhaltende Schwäche der Linken, ihre Unfähigkeit, die Gefahr zu erkennen und zu bekämpfen, und vor allem ihr Unvermögen, Begeisterung für glaubhafte Alternativen zu wecken.

Der Autor beschreibt in den biographischen Kapiteln den Lebenslauf eines Mannes aus kleinbürgerlichen Verhältnissen mit humanistischer Bildung, der mit brennendem Ehrgeiz, zähem Fleiß und immensem Erfolg stets sein hoch gestecktes Ziel verfolgte.

Mit 25 begann er seine Kariere als Immobilienmakler und Bauunternehmer. Mit erst kleinen, dann rasch wachsenden Projekten nutzte Berlusconi die Boomjahre der urbanistischen Expansion Mailands. In seiner Satellitenstadt "Milano 3" ließ er Mitte der siebziger Jahre ein internes Fernsehen einrichten.

Hier begriff er die immensen Chancen, die mit diesem Medium verbunden waren. Es war die Zeit, da das staatliche italienische Fernsehen auf allen drei Sendern tagtäglich öden Politbrei durch die Parteien - Christdemokraten, Sozialisten und Kommunisten - verbreiten ließ. Berlusconi setzte mit seiner Devise "Panem et circenses" dagegen. Und er hatte mit seinen optimistischen und himmelblauen Fernsehprogrammen unglaublichen Erfolg bei den Italienern. Vor allem gewann er die Herzen aller italienischen Hausfrauen, die tagsüber vor dem Fernseher hockten.

Ginsbourg entlarvt minutiös die herausragenden Eigenschaften des Unternehmens wie auch des späteren Politikers Berlusconi: seine Neigung zur Bildung von Clans, sein Bedürfnis, bewundert zu werden, und sein großartiges Talent als Verkäufer.

Erst durch die Offensive der Mailänder Staatsanwälte (Mani pulite) von 1992, die sich nur gegen Christdemokraten und Sozialisten richtete, die auch seinen engen Freund, den sozialistischen Ministerpräsidenten Bettino Craxi, ins Exil vertrieb, stand für Berlusconi fest, selber in die Politik zu gehen.

Mit seiner neu gegründeten Forza Italia, der ersten liberalen Massenpartei, stieg er in die italienische Politik ein und gewann 1994 mit überwältigender Mehrheit die Wahlen. Es war ein Novum, der Einzug eines Unternehmers in die Politik. Nach einem Jahr mußte er zurücktreten, da sein Koalitionspartner Lega Nord ausbrach. Doch nach fast sieben Jahren in der Opposition gewann Berlusconi 2001 mit überwältigender Mehrheit erneut und regiert seitdem als Ministerpräsident.

Schonungslos zeigt Ginsbourg auf, wie das Mitte-Links-Lager von Romano Prodi und von Massimo D'Alema in fünfjähriger Regierungszeit nicht imstande war, Berlusconi etwas entgegenzusetzen, ihm vielmehr erneut den Weg ebnete. Derzeit befindet sich die Regierung Berlusconi in einem tiefen Tal: Wirtschaftssorgen drücken das Land; Wahlniederlagen und Spannungen innerhalb der Koalition haben ihre Spuren in der Regierung hinterlassen.

"Doch der Ausblick der Wahrheit wird im Frühjahr 2006 bei den nächsten Wahlen kommen", schreibt Ginsbourg. Düster prognostiziert er, daß Berlusconi angesichts der Mittel, die er im kommenden Wahlkampf einsetzen wird, wohl an der Macht bleiben wird.

Silvio Berlusconi koordiniert die Macht: Ist er der Prototyp eines neuen Modells politischer Kontrolle in modernen Demokratien?

Paul Ginsbourg: Berlusconi - Politisches Modell der Zukunft oder italienischer Sonderweg. Deutsche Erstausgabe. Klaus Wagenbach Verlag, Berlin 2005, 191 Seiten, broschiert, 11,90 Euro


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