© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/05 03. Juni 2005

Einsam seiner Zeit voraus
Heinrich Schirmbeck
Rolf Stolz

Auch wenn dieser Dichter selbst den meisten Gebildeten allenfalls dem Namen nach bekannt ist, er lohnt die Lektüre. Heinrich Schirmbeck, der am 23. Februar 2005 neunzig Jahre alt wurde, war in den fünfziger und sechziger Jahren eine Art Star-Autor. Seine zahlreichen Erzählungen, seine beiden großen Romane "Ärgert dich dein rechtes Auge" (1957) und "Der junge Leutnant Nikolai" (1958), seine Essays (darunter das 1966 erschienene geradezu prophetische Buch "Ihr werdet sein wie Götter. Der Mensch in der biologischen Revolution") und das halbe Tausend seiner Radiovorträge hatten ihm Preise und Akademiemitgliedschaften eingetragen.

Sein Leben war für seine Generation eher untypisch verlaufen: In Recklinghausen geboren, 1933 mehrere Wochen in einem Umerziehungslager inhaftiert und 1934 von den Nationalsozialisten mit Studierverbot belegt, arbeitete er nach einer Buchhändlerlehre als Werbeleiter und Journalist für die wegen ihrer "inneren Opposition" 1943 verbotenen Frankfurter Zeitung, wurde unfreiwillig Soldat, desertierte kurz vor Kriegsende, war nach dem Kriege wiederum Journalist und Werbeleiter, schließlich freier Autor.

Bereits die erste Buchveröffentlichung, die 1944 von Peter Suhrkamp verlegte Novellensammlung "Die Fechtbrüder", hatte ihn bekannt gemacht - zumindest unter denen, die in den Wirren des Kriegsendes überhaupt noch Ruhe und Muße für Schöngeistiges aufbringen konnten. Vom Ende der vierziger Jahre an, als die später zum Roman "Der junge Leutnant Nikolai" erweiterte Erzählung "Gefährliche Täuschungen" 1947 herauskam, bis zur Mitte der sechziger Jahre erhielt Schirmbeck die verdiente Achtung und Beachtung. Aber in den siebziger Jahren verschwand er aus dem öffentlichen Bewußtsein und vom literarischen Markt.

Daß er jetzt wieder präsent ist, ist ein Verdienst des rührigen Wiesbadener Verlegers Immo Hilbinger und der Ende 2004 gegründeten Heinrich-Schirmbeck-Gesellschaft. In drei Bänden (einzeln oder komplett zum Sonderpreis) findet wir den wichtigsten Roman des Autors ("Ärgert dich dein rechtes Auge", damals in fast alle Weltsprachen übersetzt und gerade in Amerika enthusiastisch aufgenommen), eine Auswahl aus seinen besten Erzählungen und die 1942 geschriebene, aber hier zum ersten Mal veröffentlichte Novelle "Der Kris", ein - wie der Germanist Gerald Funk im Nachwort schreibt - "nicht unbedeutendes Beispiel für das, was man die 'verdeckte Schreibweise' oder die 'ästhetische Opposition' der im Dritten Reich herangewachsenen jungen Autorengeneration genannt hat".

Wissensdurstig und hellwach hat Schirmbeck neuen Entwicklungen nachgespürt, ohne den Moden nachzulaufen. Jeder endgültigen Katalogisierung hat er sich verweigert. Zwischen fast allen Stühlen, in der Einsamkeit dessen, der seiner Zeit voraus ist, hat er den größten Teil seines Lebens verbracht, hat den Mächtigen und den zeitweiligen Mehrheiten widersprochen. Menschenrechte, Literatur, Wissenschaft und Ethik - das sind die Gebiete, die Schirmbeck selbst als "bevorzugte Aufgabenfelder" seines "aktionserfüllten Lebens" bezeichnet hat. Das Non omnis moriar des Horaz, das trotzige "Nicht ganz werde ich sterben", kann dieser deutsche Schriftsteller von europäischer Konfession und weltliterarischer Bedeutung in voller Berechtigung über sich selbst sagen. Sein Ruhm beginnt gerade erst.

Im I. Hilbinger Verlag, Wiesbaden, erscheinen neu bzw. zum ersten Mal: "Ärgert dich dein rechtes Auge", Roman, 29,50 Euro; "Die Pirouette des Elektrons", Erzählungen, 27,50 Euro, "Der Kris", Erstveröffentlichung einer 1942 geschriebenen Novelle, 12,90 Euro. Alle drei Bände zusammen in einem Schuber kosten 63 Euro.


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