© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/05 03. Juni 2005

LOCKERUNGSÜBUNGEN
Erfolgsbilanz
Karl Heinzen

Die Kanzlerschaft Gerhard Schröders neigt sich dem Ende zu, ein weiteres Kapitel der deutschen Geschichte mit all ihren Höhen, Tiefen und Belanglosigkeiten wird geschlossen. Das Phlegma, das die Kapitulation der rot-grünen Koalition vor dem Überlaufen der Wählermehrheit zu einer Opposition kennzeichnet, die niemand als Alternative oder gar Hoffnungsträger bezeichnen mag, sollte aber nicht zu einer Geringschätzung dessen verleiten, was in den vergangenen sieben Jahren erreicht worden ist.

Schröder war der Kanzler der Jahrtausendwende, rein formal betrachtet hat er also - wie zuletzt der gleichfalls aus dem Niedersächsischen stammende Kaiser Otto III. - unser Land in eine neue Zeit geführt. Unter seiner Ägide fand die Bundesrepublik zu einem gereiften Selbstverständnis, das ihr womöglich von Anfang an vorherbestimmt war, zuvor aber aufgrund ihrer NS-verseuchten Gründergenerationen nicht zum Tragen kommen konnte. Heute endlich ist juristisch verankert und durch Strafrecht sowie Tabuisierung geschützt, was den in dieser Hinsicht nicht nur kritikwürdigen, sondern vor allem bedauernswerten Müttern und Vätern des Grundgesetzes noch als undenkbar erscheinen mußte: Das deutsche Volk ist kein ethnischer Begriff mehr, eine der Ursachen für Auschwitz ist aus unserem Staatsbürgerrecht getilgt. Die simple Logik, daß ein Land, in das Millionen von Menschen einwandern, wohl ein Einwanderungsland ist, stößt auf breites Verständnis. Erst die sich als befreit anerkennende Bundesrepublik hat auch die Freiheit, wie sogleich erfolgreich im Kosovo praktiziert, gerechte Kriege ihrer Wahl zu führen. Unter dem Strich kann man also von der Ära Schröder als einer "zweiten Befreiung" sprechen.

Doch auch auf jenen Gebieten, die weniger mit Sinnstiftung und Identität, sondern eher mit den praktischen Fragen unseres Zusammenlebens zu tun haben, vermochte Gerhard Schröder den Weg in die Zukunft zu ebnen. In den breiten, also unvermögenden Schichten unserer Bevölkerung hat sich ein neues Verständnis von Gerechtigkeit etabliert: Nach allen Eskapaden des zu Unverantwortlichkeit und Unmündigkeit verführenden Wohlfahrtsstaates gilt es nun, all jenen gerecht zu werden, deren gesellschaftlichen Vorrang aufgrund vermögender Herkunft oder erfolgreicher Marktgaunereien man bislang als ungerecht zu empfinden pflegte. Leider ist der Kanzler nun genau in dieser Frage am antikapitalistischen Ressentiment seiner Partei gescheitert. Angela Merkel jedoch ist dazu prädestiniert, sein Werk zu vollenden.


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