© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 22/05 27. Mai 2005

"Outdoor"-Mode: Neue Welle schwappt über die Städte
Mit Kompaß durch die Straßen
Frank Liebermann

Samstagvormittag in einer typischen deutschen Stadt. In der verstopften Fußgängerzone tummeln sich die Passanten, der Wochenendeinkauf steht an. Darunter mischen sich immer mehr Gestalten, die durch ihre lächerliche Kleidung herausragen. Ausnahmsweise sind nicht bunt gefärbte Punks im Gammel-Look gemeint oder Straßenmusikanten in sonderbaren Gewändern, die uns durch schreckliche Klänge zu zügigem Weitergehen motivieren. Nein, die frisch gefegten Straßen werden von Menschen betreten, die fesches Schuhwerk tragen, atmungsaktive Goretex-Anoraks und Hemden, die jeden Schweißtropfen sofort nach außen transportieren.

Für Westen gilt: Weniger als 34 Taschen taugt nichts

Abgerundet wird das Ganze durch lustige Drillhosen mit mehreren breiten Seitentaschen, in denen viele nützliche Dinge Platz haben, wie beispielsweise Mobiltelefone, Papiertaschentücher oder Kopfschmerztabletten. Gerne getragen sind auch Outdoor-Westen, für die eine einfache Regel gilt: Hat sie weniger als 34 Taschen, taugt sie nichts. Fehlen dürfen natürlich auch nicht die Outdoor-Sandalen. Schließlich sieht man sonst die weißen Socken nicht. Nichtsdestotrotz: Ein neuer Trend ist geboren, die Outdoorisierung unserer Gesellschaft. Das bedeutet natürlich nicht, daß sich der Outdoor-Anhänger ungeschützt der Natur aussetzt. Falls nämlich ein kleiner Regenschauer kommt, zaubert der Outdoorler aus einer seinen vielen Taschen einen Regenschirm, den er sich munter zum Schutz seiner Fönwelle aufspannt.

Handel und Industrie sind auf diesen neuen Trend schon lange aufgesprungen. Outdoor-Bekleidungsge-schäfte versorgen die Konsumenten mit allem, was ihr Herz begehrt. Selbst im kleinsten Dorf sind inzwischen die Händler vertreten, die diese robuste Kleidung vertreiben. Jack Wolfskin, globetrotter oder active-leisure sind nur einige der Hersteller, die Kleidung für diesen Bereich herstellen und Millio-nenumsätze damit machen. Auch große Ketten wie Aldi, Lidl, Tchibo und Co. haben sich auf den Trend eingestellt. Immer wieder sind dort Utensilien im Angebot, die das Überleben in Fußgängerzonen sichern. Kompasse, wasserdicht verschließbare Kartenhüllen, mobile Navigationsgeräte und Wasserauf-bereitungs-Sets sind in jeder Auslage zu finden. Und für die Paare, bei denen nicht schon von weitem ersichtlich ist, daß sie zusammengehören, gibt es noch Hosen und Anoraks im Partnerlook. So wächst auch optisch zusammen, was zusammengehört.

Was tragen aber Menschen, die tatsächlich Sport in der Natur treiben? Früher mußte für einen Spaziergang eine ältere Hose, ein T-Shirt und festes Schuhwerk ausreichen. Profis hatten eine Kniebundhose, karierte Hemden und richtige Wanderschuhe. Mein Opa marschierte noch mit Anzug, Hut und Halbschuhen auf Wegen, auf denen heute Frühpensionäre in Outdoor-Vollausrüstung "walken". Mit den Materialien, mit denen heute der moderne Innenstadtbesucher ausgerüstet ist, hätte Sir Edmund Hillary den Mount Everest bestiegen. Nein, für Menschen, die tatsächlich Sport treiben, gibt es auch tolle Sachen.

Selbst die Nobelmarke Prada setzt auf Outdoor-Kleidung

Schließlich beginnen die meisten Menschen erst auf Anraten des Arztes mit dem Sport. Deshalb sind eher weite Sachen angesagt, da die meist übergewichtigen Neueinsteiger nicht wie eine Preßwurst aussehen wollen. Selbst die Nobelmarke Prada stellt inzwischen Outdoor-Kleidung her, schließlich will man und frau ja auch in der Natur schick sein. Die Kollektionen folgen den aktuellen Farbmustern. So setzen sich die Träger dieser schicken Kleidung hübsch vom tristen Grau unserer Innenstädte oder dem langweiligen Grün der Natur ab. Adidas hat auch nachgezogen. Dort gibt es Outdoor-Kleidung, die auch im Büro tragbar ist

Stellt sich nur noch die Frage, weshalb das so ist. Warum tragen Menschen Outdoor-Kleidung in unseren Städten? Handelt es sich bei den neuen Klamotten tatsächlich um den Jogging-Anzug für Besserverdienende? Oder hat es etwas mit der Entfremdung von der Natur zu tun? Signalisiert es ein Zurückwollen? Oder ist es eher Ausdruck einer zunehmenden Bequemlichkeit und Verweichlichung unserer Gesellschaft, die auf Stil zugunsten von Komfort verzichtet?

Vielleicht liegt der Grund auch darin, daß unsere Innenstädte lebensfeindlicher sind als die trockenste Wüste oder der feuchteste Dschungel. Und sind nicht rasende Autos, Drogenhändler, Feinstaub und Straßenmusiker gefährlicher als alle Bedrohungen, die aus der Natur erwachsen können?


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