© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 22/05 27. Mai 2005

Junges Asien besiegt das alte Europa
Am 28. Mai 1905 entschied sich der Russisch-Japanische Krieg / Tokios folgender Einfluß auf ganz Ostasien wurde erst 1945 beendet
Rolf Bürgel

Am 27. und 28. Mai 1905 fand in der Koreastraße, der südlichen Durchfahrt vom Japanischen zum Chinesischen Meer, in der Nähe der Insel Tsushima eine der größten Seeschlachten der Geschichte statt. Die japanische Flotte vernichtete hier eine russische Flotte, die aus der Ostsee in diese Schlacht gefahren war, nahezu bis auf das letzte Schiff. Der japanische Sieg brachte die Entscheidung im Russisch-Japanischen Krieg 1904/05, der die Welt erschütterte und die Machtverhältnisse nicht nur in Ostasien, sondern selbst in Europa nachhaltig veränderte. Das war vor genau einhundert Jahren, Grund für einen Rückblick.

Streitpunkt zwischen Rußland und Japan, über den es schließlich zum Krieg kam, war Korea. Die Herrschaft über diese Halbinsel des asiatischen Festlandes betrachtete Japan als lebenswichtig für seine Sicherheit. Nach den Worten von japanischen Staatsmännern war "Korea ein Pfeil, der auf das Herz Japans gerichtet war". Als China in das bis dahin machtlose Königreich einzudringen begann, entstand nach dieser Logik für Japan eine tödliche Gefahr. So kam es 1894 zum Krieg, der mit einem japanischen Sieg endete. Japan erhielt als Folge die Liautung-Halbinsel mit dem Kriegshafen Port Arthur. Korea wurde formal selbständig, blieb aber unter japanischem Einfluß. Doch Korea hatte auch die Begehrlichkeit Rußlands geweckt. Getrieben durch seinen Drang, den Zugang zu eisfreien Pazifik-Häfen zu bekommen, hatte das Zarenreich eine verstärkte Expansionspolitik in Asien betrieben. Japan war ihm zuvorgekommen.

Eine ganze Flotte wurde um die Welt geschickt - und versenkt

Mit deutscher und französischer Unterstützung gelang es schließlich, Japan zur weitgehenden Aufgabe seiner Gewinne aus dem Krieg mit China zu bewegen. Das aber hieß jedoch nicht, daß Rußland seine eigenen Ziele aufgegeben hätte. Als es 1900 in China zum Boxeraufstand kam, nutzte Rußland die Gunst der Stunde, die Mandschurei und Korea zu besetzen und schließlich Port Arthur langfristig von China zu pachten. Das dort stationierte Geschwader betrachtete Japan als besonderen Affront. Nachdem Rußland Verhandlungen mit Nippon ablehnte, kam es zum Krieg. Er begann mit einem Paukenschlag.

Am 8. Februar 1904 griffen japanische Torpedoboote ohne vorherige Kriegserklärung die erleuchtet auf Reede liegende russische Flotte mit Torpedos an. Zwei Schlachtschiffe und ein Panzerkreuzer wurden getroffen und schwer beschädigt. Obwohl das Geschwader handlungsfähig blieb, konnten die japanischen Truppen und deren Nachschub ungestört bei Port Arthur anlanden. In Japan nannte man das Geschwader bald spöttisch "die neutrale russische Flotte".

Rußland wollte darauf seine Seestreitkräfte durch Entsendung eines weiteren Geschwaders aus der Ostsee verstärken. Die Vereinigten Geschwader sollten die modern aufgerüstete japanische Flotte schlagen und damit den japanischen Vormarsch in der Mandschurei verzögern, bis Verstärkungen der russischen Armee über die Transsibirische Eisenbahn herangeführt werden konnten.

Damit wurde die Einnahme von Port Arthur für Japan zur vordringlichen Aufgabe. Da das russische Geschwader die Seeseite in taktisch günstiger Position versperrte, mußte die Festung von der Landseite her genommen werden. Die Schlachten um Port Arthur gehören zu den blutigsten und verlustreichsten der Kriegsgeschichte.

Inzwischen rüsteten russische Werften an der Ostsee ein neues Geschwader aus. Am 14. Oktober 1904 ging es mit der Bezeichnung "Zweites Stille-Ozean-Geschwader" unter dem Kommando des Vizeadmirals Sinowij Petrowitsch Rojestwenski von Libau aus in See, um mit 45 Schiffen, Schlachtschiffen, Kreuzern, Torpedobooten, Werkstattschiffen, Lazarettschiffen und Versorgungsschiffen, mit 10.000 Mann auf eine 20.000 Seemeilen lange Strecke über das Kap der Guten Hoffnung in die Schlacht zu ziehen - ein maritim verwegenes Unternehmen.

Da Rußland auf der gesamten Strecke zwischen der Ostsee und dem Kriegsgebiet in Ostasien weder über Werften noch über Kohlestationen verfügte, war man auf die wohlwollende Nutzung von Häfen neutraler Staaten angewiesen. Ohne die Unterstützung der deutschen Hapag, die Rußland siebzig Kohlefrachter zur Verfügung stellte, die dem Geschwader zur Versorgung vorausliefen, wäre das ganze Unternehmen womöglich früh gescheitert. Es war nur der fast übermenschlichen Willenskraft des Geschwaderchefs zu verdanken, daß die Flotte nach sieben Monaten die Koreastraße erreichte. Von der inzwischen gut vorbereiteten und bestens aufgerüsteten und mit vollen Kohlebunkern ausgestatteten japanischen Flotte unter Admiral Togo wurde das mit Mensch und Material stark strapazierte Zweite Stille-Ozean-Geschwader bereits erwartet. Die Schlacht, die in den frühen Abendstunden des 27. Mai 1905 begann, war von vornherein ein ungleicher Kampf. Der japanische Sieg auch durch besseres taktisches Geschick war vollkommen. Die russische Flotte wurde nahezu bis auf das letzte Schiff versenkt oder genommen.

Der Krieg zur See war entschieden. Aber an Land standen sich die Armeen in weiten Stellungssystemen um Port Arthur weiter gegenüber, die Russen trotz Verstärkungen ebensowenig zum Durchbruch in der Lage wie die Japaner. Tokio bat schließlich den US-Präsidenten Theodore Roosevelt um die Vermittlung eines Friedens. Auch Rußland mußte zustimmen, da die Lage nach der am 22. Januar 1905 blutig niedergeschlagenen Demonstration vor dem Winterpalais in St. Petersburg zur Revolution eskalierte. Andererseits führte die ungünstige Kriegslage Ende 1904 gerade dazu, daß sich die Kämpfer gegen die soziale und politische Unterdrückung in diesem Augenblick Hoffnung machen konnten, Zar Nikolaus II. zu Zugeständnissen zu bewegen.

Der Friedensvertrag, der am 5. September 1905 in Portsmouth (New Hampshire) geschlossen wurde, brachte Japan einen geradezu vollkommenen Sieg. Japan gewann die beiden Häfen Dairen und Port Arthur und die südliche Hälfte der Insel Sachalin. Rußland mußte die japanischen Interessen in Korea anerkennen und Eisenbahnrechte in der südlichen Mandschurei abtreten. Damit wurde Japan zur vorherrschenden Seemacht in Ostasien und zu einer kontinental-asiatischen Macht.

Großmächte richteten ihr Interesse fortan auf Europa

Die Vernichtung des russischen Faktors veränderte die Machtverhältnisse in Ostasien grundlegend. Dieses wurde verstärkt durch den Rückzug der britischen Flotte, die ihre Einheiten als Reaktion auf den deutschen Flottenbau zunehmend in der Nordsee konzentrierte. Verändert hatten sich auch die Beziehungen Japans zu den USA. Mit der Niederlage Rußlands und dem Rückzug Großbritanniens blieben nur noch Japan und die USA, die seit 1898 über die Besetzung der Philippinen direkte asiatische Macht geworden waren, als politische Akteure im Westpazifik übrig.

Da Japan seine expansionistischen Ziele in den folgenden Jahren, besonders nach 1918, weiterverfolgte, verlegten die USA eine weitere komplette Schlachtflotte in den Pazifik. Stützpunkt wurde Pearl Harbor auf Hawaii, der am 7. Dezember 1941 von Japan angegriffen wurde, wodurch der Zweite Weltkrieg zur globalen Schlacht wurde.

Die Machtverschiebungen in Europa waren nicht minder umwälzend. In einer drastischen Kehrtwende wandte sich Rußlands Außenpolitik wieder dem Balkan und den Türkischen Meerengen zu. Das hat die Spannungen in diesem Raum deutlich eskalieren lassen und so eine entscheidende Voraussetzung zum Ersten Weltkrieg geschaffen.

Foto: Japaner landen im Frühjahr 1904 bei Port Arthur: Das Ende des russischen Drangs nach Osten


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen