© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 22/05 27. Mai 2005

Fühlen lernen
Kino: "Garden State" von Zach Braff ist berauschend komisch
Michael Insel

Auf Ihrem nächsten Langstreckenflug werden Sie Zach Braffs Regiedebüt im Unterhaltungsprogramm der Lufthansa vergeblich suchen, beginnt es doch mit einem Beinahe-Absturz. Heftige Turbulenzen schütteln die Maschine, Passagiere schreien und beten. Nur einer zuckt inmitten der allgemeinen Panik mit keiner Wimper, sondern dreht seelenruhig an seiner Belüftung herum: Andrew Largeman (Braff), der, wie die nächste Einstellung offenbart, sogar seine eigenen Alpträume teilnahmslos durchlebt. Das Bett, in dem er aufwacht, ist so weiß wie der Raum, der ihn umgibt, und fast verstört diese Sterilität mehr als die vorangegangene Hysterie.

Damit hat der Zuschauer einen Einblick bekommen in das Innenleben des Möchtegern-Filmstars und Möchtewenigergern-Kellners. Large, wie ihn seine Freunde nennen, hat den Großteil seines Lebens in einem Zustand seelischer Betäubung verbracht. Sein Vater (Ian Holm), ein Psychiater, setzte ihn auf Lithium, nachdem er als Kind seine Wut an der depressiven Mutter ausließ und einen schweren Unfall verursachte. Ihren Tod nimmt er nun zum Anlaß, aus dem kalifornischen Exil nach New Jersey heimzukehren, gegen allen ärztlichen Rat auf Entzug zu gehen und seine Dämonen ebenfalls zu Grabe zu tragen.

Freilich gestaltet sich die Wirklichkeit in der verschlafenen Kleinstadt kaum weniger halluzinativ als jeder Drogenrausch - von dem selbstgenähten Hemd mit Tapetenmuster, das ihm eine wohlmeinende Tante beschert, bis zu der Arche, auf der seine viertägige Odyssee schließlich endet.

Da Braff die Hauptfigur in der Krankenhauskomödie "Scrubs" ähnlich apathisch-sympathisch spielt, liegt der Verdacht nahe, er habe sich diese Rolle regelrecht auf den Leib geschrieben. Sei's drum, mit "Garden State" liefert er ein gelungenes Debüt ab, das sowohl als romantische wie als schwarze Komödie über die Ritulin-/Prozac-Generation amerikanischer Mittelklassekinder überzeugt, die von kleinauf mit Hilfe der gut sortierten Hausapotheke erzogen werden.

Angeblich beruht die Handlung "zu achtzig Prozent" auf Braffs eigenen Erfahrungen und denen seines Freundeskreises in New Jersey. Offensichtlich sprießen im selbststilisierte Garden State gar wundersame Pflänzchen, denn kaum ist Large zu Hause angekommen, trifft er auf einige der schrägsten Vögel, die in letzter Zeit die Kinoleinwand geziert haben: Schulfreund Mark (Peter Sarsgaard), hauptberuflich Totengräber, nebenberuflich Grabräuber, oder Saufkumpan Jesse (Armando Riesco), der als Erfinder des lautlosen Klettverschlusses ein Vermögen gescheffelt hat, das er nun mit wilden Parties in seinem Herrenhaus verpraßt. Ein weiterer Mitschüler hat sich vom Kokser zum Bullen gemausert. Weniger gut meinte das Schicksal es mit jenem Ritter von der traurigen Gestalt, der in mittelalterlicher Rüstung in einem "Themenrestaurant" Burger serviert.

Nicht zu vergessen die flippige Sam (Natalie Portman), eine notorische Lügnerin, die Large im Wartezimmer seines Neurologen kennenlernt. Sie ist es, die ihn wieder fühlen lehrt. Doch so aberwitzig das Geschehen sich auch entwickelt, so albern manche der Gags geraten - ein Hund vergeht sich im besagten Wartezimmer an Larges Bein; Sam wedelt wie wild mit den Armen und gibt seltsame Pieplaute von sich, um etwas total Originelles zu tun -, im Kern bleibt der Film immer glaubwürdig.

Mag sein, daß Braff nicht der talentierteste Schauspieler seiner Generation ist: Auf jeden Fall hat er ein Ohr für Dialoge und ein sicheres Gespür für eine zurückhaltende Regieführung, die den Darstellern die Freiheit läßt, ihre Rollen mit Leben auszufüllen. Schade nur, daß Ian Holm kaum Gelegenheit bekommt, sein Können unter Beweis zu stellen, hätte die Vater-Sohn-Beziehung doch Dreh- und Angelpunkt der Geschichte sein müssen. Vor allem Peter Sarsgaard legt eine glänzende Darbietung hin, während Natalie Portman als überdrehte Exzentrikerin mit der Zeit doch ein wenig nervt.

Lediglich am Ende läßt Braff die Fäden eines ansonsten solide gesponnenen Handlung aus der Hand gleiten und sich zu allzu rührseliger Sentimentalität hinreißen. Solche kleinen Mängel verzeiht man dieser liebenswerten und streckenweise äußerst amüsanten Komödie jedoch gerne.

Foto: Large (Zach Braff) und Sam (Natalie Portman): Odyssee


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