© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 22/05 27. Mai 2005

Aus Weizen wird Strom
Agrarpolitik: Überschüssiger Weizen wird in der Tschechei demnächst verbrannt - Bauern und Energiekonzerne zufrieden
Alexander Barti

Auf den neuen Rekordwert von 615,84 Millionen Tonnen - etwa 64 Millionen Tonnen mehr als im vorangegangenen Wirtschaftsjahr - prognostizierte das US-Landwirtschaftsministerium (USDA) die weltweite Weizenproduktion für 2004/2005. Das sei die stärkste Zunahme seit über 45 Jahren. Allein die Weizenernte in den USA wachse um eine Million auf 58,88 Millionen Tonnen und in der EU um fast drei auf 133,25 Millionen Tonnen. Auch in Brasilien und der Türkei werde die Weizenernte um je 500.000 Tonnen größer ausfallen.

Europaweite Rekordernte im vergangenen Jahr

Doch wohin mit dem Überschuß? Besonders nach der europaweiten Rekordernte im vergangenen Jahr wurde die landwirtschaftliche Überproduktion und der dadurch hervorgerufene weltweite Preisrückgang zu einem echten Problem. Die Konsumenten in den Wohlstandsländern und auch vielen Schwellenländern sind mit Kohlehydraten überversorgt, die Hungernden in der Dritten Welt können sich selbst die reduzierten Preise nicht leisten. Die Speicher sind deshalb übervoll.

Die EU bemühte sich zwar redlich um den Weizenexport ins Ausland, aber noch immer blieben Tausende Tonnen ungenutzt. In dieser ungünstigen Situation entschlossen sich die Tschechen zu einer Maßnahme, die auch in Deutschland immer wieder diskutiert wird: Sie verbrennen das überschüssige Getreide und erzeugen so Strom. Vermittler zwischen den Bauern und den Tschechischen Energiewerken (CEZ) war der Direktor der Brünner Getreidebörse (Plodinová burza) Ladislav Svoboda.

Inzwischen sind die Verträge unterschriftsreif. Zwar gab es auch in der Tschechei ethische Bedenken, aber eine breite Diskussion über die Verbrennung des "täglich Brotes" fand nicht statt. Es dominierten wirtschaftliche Gesichtspunkte. Offenbar gibt es bei diesem Geschäft nur Gewinner: "Durch die Aktion konnten wir auch die schlechte Qualität loswerden. Zwar haben wir nicht das große Geld gemacht, aber immerhin sind jetzt die Speicher leer", zeigte sich der Vorsitzende des tschechischen Bauernverbandes, Miroslav Jirovsky, pragmatisch.

Nach offiziellen statistischen Angaben blieben die Bauern auf 2,2 bis 2,5 Millionen Tonnen Getreide sitzen. Für 1,1 Millionen Tonnen beantragten sie EU-Beihilfen, doch da es an Lagerkapazitäten mangelte, konnten nur 400.000 Tonnen für 101 Euro pro Tonne gespeichert werden. Weitere 300.000 Tonnen werden mit großer Wahrscheinlichkeit - auch mit EU-Subventionen - auf dem Weltmarkt verkauft. Der Rest soll von der CEZ in Energie "umgewandelt" werden. Damit auch die Öffentlichkeit den Nutzen der Verbrennung versteht, veröffentlichte die CEZ eine Tabelle, in der sie die unterschiedlichen Energieträger miteinander vergleicht.

Das Getreide kommt darin erstaunlich gut weg: In Kilokalorien gerechnet beträgt sein Wert 3.400. Braunkohle kommt auf 3.100 Kilokalorien, Stroh auf 2.600. Berücksichtigt man außerdem, daß sich CEZ und Bauern auf einen Durchschnittspreis von 35,5 Euro pro Tonne einigen konnten, ist diese Art von Kornenergie auch noch am kostengünstigsten. Nur wenn man den EU-Interventionspreis von 101 Euro pro Tonnen zugrunde legte, wäre das Getreide doppelt so teuer wie die Steinkohle - und somit wirtschaftlich nicht konkurrenzfähig.

Darüber hinaus erklärten die CEZ-Fachleute, daß nicht nur in der Tschechei Getreide verbrannt werde. In anderen Ländern werde beispielsweise aus Mais und Getreide Treibstoff hergestellt, und die thermische Nutzung von verschimmeltem Weizen sei auch anderswo normal. Zur Regel will man die diesjährige Sondernutzung jedoch nicht machen, erklärte Martin Bursik vom Prager Umweltministerium. Zwar habe der Staat prinzipiell nichts gegen die Verbrennung von Weizen einzuwenden, aber man gehe davon aus, daß es sich um einen einmaligen Fall handeln werde, so Bursik.

Überschüssigen Weizen als Energieträger aufkaufen

Woher Bursik diese Überzeugung hat, bleibt fraglich angesichts des Interesses, das der CEZ-Vertrag ausgelöst hat. Denn inzwischen haben auch kleinere Energiekonzerne laut darüber nachgedacht, überschüssigen Weizen als Energieträger aufzukaufen. Allerdings kommen sie in diesem Jahr bestimmt nicht mehr zum Zuge, da die Erzeuger - um ihre Position zu stärken - ihre gesamten Kapazitäten zusammen mit Hilfe der Brünner Börse an den Mann gebracht haben. Das glatte Geschäft mit zufriedenen Gesichtern auf beiden Seiten wird ohne Zweifel Schule machen.

Vor allem auch deshalb, weil die EU-Agrarpolitik die Erzeuger noch immer zur Produktion von Überschüssen reizt. Gutes Wetter mit ausreichenden Niederschlägen führt dann schnell zu einem dramatischen Anschwellen der Getreideberge - nicht nur in der Tschechei. Auch Japan und die USA kämpfen mit ihren überschüssigen Pfunden. Davon abgesehen spricht auch die Debatte über eine "nachhaltige", "grüne" und nicht fossile Energiegewinnung für die Nutzung von nachwachsenden Rohstoffen. Im Reigen von Hanf, Raps und Stroh macht Weizen und Gerste eine gute Figur: Warum also nicht nutzen, was nicht erst - wie Erdöl und Erdgas - umständlich und Tausende Kilometer entfernt gefördert werden muß?

Der Ausweg aus dieser agrarpolitischen Sackgasse ist allerdings nicht der Export in die Hungerregionen der Erde, wie eine Studie der OECD gezeigt hat. Denn dort zerstören die billigen Nahrungsmittel-Almosen der reichen Länder des Westens gewachsene Erzeugerstrukturen und führen in wirtschaftliche Abhängigkeit und zu sozialer Desintegration. Die Zukunft liegt so gesehen im mährischen Brünn.


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