© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 22/05 27. Mai 2005

"Keine Sache für ängstliche Menschen"
Niederlande: Am 1. Juni findet das EU-Verfassungsreferendum statt / Linke und Rechte machen mobil
Jerker Spits

Am 1. Juni dürfen die Niederländer über die EU-Verfassung abstimmen. Die großen Parteien werden daher langsam nervös. Umfragen deuten auf ein mögliches Scheitern des Vertrages hin. In den Niederlanden wird - anders als in Deutschland - das im vergangenen Jahr von den EU-Staats- und Regierungschefs beschlossene Vertragswerk der Bevölkerung zur Abstimmung vorgelegt.

Obwohl das niederländische Parlament über die Verfassung entscheidet und das Referendum nicht bindend ist, legt die niederländische Mitte-Rechts-Regierung aus Christdemokraten (CDA), Rechtsliberalen (VVD) und Linksliberalen (D'66) großen Wert auf eine breite Zustimmung von seiten der Bevölkerung. Alle großen niederländischen Parteien haben inzwischen angekündigt, den Ausgang des Referendums zum Maßstab zu nehmen, wenn die Beteiligung über 30 Prozent liege.

Dem Ministerpräsidenten Jan Peter Balkenende (CDA), der ebenso wie der sozialdemokratische Oppositionsführer Wouter Bos (PvdA) für die neue EU-Verfassung wirbt, geben die jüngsten Umfragen allerdings Anlaß zur Sorge. Eine knappe Mehrheit der Niederländer (54 Prozent) soll demnach gegen die EU-Verfassung sein.

Die Abneigung gegen die Brüsseler Bürokratie ist stark. Die Niederlande sind der größte Nettozahler in der EU: 180 Euro pro Kopf gingen jährlich an die EU. Schweden zahle nur 95 Euro, Deutschland nur 71 Euro, klagte kürzlich sogar der EU-freundliche Außenminister Ben Bot (CDA) im Financieele Dagblad. Viele Niederländer sind sogar der Ansicht, daß es sich bei der EU um eine verschwenderische Organisation handele, die zudem die Souveränität ihres eigenen Staates bedroht. Außerdem stellen sie den Sinn und Zweck der EU-Verfassung überhaupt in Frage.

Auch trauen viele Niederländer der positiven Berichterstattung über Europa nicht mehr, weil sie seit dem Abschluß der Währungsunion ausgesprochen euroskeptisch sind. Vor kurzem gab der niederländische Zentralbankchef Henk Brouwer bekannt, daß der Gulden bei der Einführung des Euro 1999 um zehn Prozent zu niedrig bewertet worden sei. Politisch sei es nicht durchsetzbar gewesen, den starken Gulden gegenüber der schwachen D-Mark aufzuwerten. Deshalb wurde der Euro nicht für zwei, sondern für 2,20 Gulden eingeführt. Auch bei der EU-Verfassung haben viele das Gefühl, von den Politikern absichtlich schlecht informiert zu werden.

Der Regierung fällt es deshalb ausgesprochen schwer, die Bevölkerung zu überzeugen. Letzte Woche kritisierte Innenminister Johan Remkes (VVD) die von der eigenen Regierung initiierte umfassende Informationskampagne, weil sie nicht sachlich genug sei und die Vorteile der EU-Verfassung nicht genügend deutlich machen würde. Bei der bisherigen Kampagne handle es sich, so Remkes wörtlich, um "Angstmacherei".

Justizminister Jan Hein Donner (CDA) hatte vor einigen Wochen damit gedroht, daß die Ablehnung der EU-Verfassung Europa in einen neuen Krieg führen könnte, weil nur ein gemeinsames Europa Frieden und Sicherheit gewährleiste. Premier Balkenende hatte zuvor gewarnt, ein "Nein" bei der Volksabstimmung am 1. Juni gefährde den "internationalen Ruf" der Niederlande.

Außenminister Bot brachte in der linken Zeitung De Volkskrant Verständnis dafür auf, daß viele Bürger sich fragen, ob sie mit ihrer Ja-Stimme unbeabsichtigt den ungleichen Kostenbeitrag der niederländischen Staatskasse legitimieren. "Die niederländische Regierung wird ein 'Ja' als einen Auftrag verstehen, um sich verstärkt für eine ehrlichere Lastenverteilung in Europa einzusetzen", versicherte Bot. Die Sorge vieler Bürger, Europa werde sich zu einem "zentralistischen Superstaat" entwickeln, sei unberechtigt.

Neben der PvdA empfehlen auch die oppositionellen Grünen den Wählern ein Ja - vor allem weil sie hoffen, über Europa Einfluß auf die niederländische Umwelt- und Asylpolitik nehmen zu können. Die oppositionelle Sozialistische Partei (SP) von Jan Marijnissen, die im EU-Parlament mit der PDS und anderen Kommunisten eine Fraktion bildet, spricht sich vehement gegen die EU-Verfassung aus, weil sie die EU als verschwenderisches und undemokratisches Projekt auffaßt. Auch die kleinen oppositionellen konservativ-christlichen Parteien Christenunie und SGP sind dagegen, weil in der EU-Verfassung der Hinweis auf die christliche Identität Europas fehle. Das überparteiliche linke Komitee "Nein zur Verfassung" verfolgt hingegen noch andere Ziele: "Wir müssen klarmachen, daß eine Stimme gegen die Verfassung eine gegen die Regierung ist."

Der unabhängige Parlamentarier Geert Wilders (JF 14/05), der 2004 wegen islamkritischer Äußerungen und seiner konsequenten Ablehnung des EU-Beitritts der Türkei aus der VVD ausgeschlossen wurde, hat letzte Woche mit einer Kampagne gegen die EU-Verfassung begonnen. Damit tritt Wilders erstmals seit dem Mord am Filmregisseur Theo van Gogh (JF 48/04) wieder in der Öffentlichkeit auf. Unter starken Sicherheitsmaßnahmen besucht Wilders innerhalb einer Woche die zwölf Provinzen und verteilt Pamphlete gegen die EU-Verfassung unter dem Wahlspruch: "Die Niederlande sollen bleiben".

"Ich möchte meiner Aufgabe als Volksvertreter nachkommen", sagte Wilders auf die Frage, ob er keine Angst habe, sich trotz Morddrohungen auf offene Straße zu begeben: "Politik ist keine Sache für ängstliche Menschen." Wenn er auf die EU-Kampagne der Regierung und die Türkei angesprochen wird, erwacht sein Temperament: "Sie drohen mit einem Krieg oder verweisen auf Auschwitz. Angsthasen sind es. Sie sollten eine Kampagne machen und versuchen, die Bürger mit Argumenten zu überzeugen. Aber sie jagen den Bürgern Angst ein. Ich bin nicht gegen Europa, ich möchte ein kleineres Europa", meint Wilders. "Die Türkei hat als islamisches Land in Europa nichts zu suchen. Das heutige Europa ist auf jüdische, christliche und humanistische Fundamente gegründet. Das soll so bleiben. Außerdem ist die Türkei ein großes Land, das viel zu viel Einfluß in Europa bekommen würde."

Auch der niederländische Schriftsteller Leon de Winter sprach sich in seiner Kolumne im Magazin Elsevier gegen den "Brüsseler Wahnsinn" aus. Der EU drohe eine große Gefahr. Die Union komme auf eine "artifizielle Weise" zustande und werde deshalb implodieren, weil ein europäischer Mensch und eine europäische Seele nicht existierten, so De Winter. "Je größer und abstrakter die europäischen Institutionen werden, desto größer wird das Bedürfnis, festzuhalten an alten ethnisch-religiösen und kulturellen Identitäten."


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