© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 22/05 27. Mai 2005

Auf den zweiten Blick
Extremismus: Der neue Verfassungsschutzbericht des Bundes birgt wenig Überraschungen und einige Merkwürdigkeiten
Martin Kurz

Schnell kam Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) zur Sache: Islamisten und Rechte sind es, die den deutschen Staat am meisten bedrohen. Wirklich überrascht war keiner der Journalisten, die in der vergangenen Woche der Pressekonferenz des Ministeriums zum neuen Verfassungsschutzbericht 2004 beiwohnten. Pflichtschuldigst wurden die aktuellen Horrorzahlen in die Notizblöcke kopiert: Die Zahl der Anhänger und Mitglieder islamistischer Organisationen stieg leicht von 30.950 auf 31.800. 57.500 Personen werden dem ausländerextremistischen Potential zugerechnet - "ein bedenklich hohes Niveau", sagte der Minister.

Bei der Beurteilung, wer Ausländerextremist ist und wer nicht, nimmt es Schilys Behörde anscheinend nicht ganz so genau. So findet sich beispielsweise auch Yavuz Özoguz, seit Jahren bereits deutscher Staatsbürger und im öffentlichen Dienst tätig, mit seiner Internetplattform Muslim-Markt im Bericht wieder. Dafür verbreitet der Bericht, Özoguz sei wegen Volksverhetzung zu einer dreijährigen Bewährungsstrafe verurteilt worden - eine glatte Falschinformation. Das Verfahren gegen den Muslim-Markt-Betreiber wurde im Januar dieses Jahres eingestellt. Und wenn der Verfassungsschutzbericht ausgerechnet den Satzanfang "Imam Khameini weist uns an ..." als besonders belastend für Özoguz hervorhebt und dabei verschweigt, daß er weitergeht: "... wir sollen uns an die Gesetze halten in dem Land, in dem wir leben" - dann scheint dahinter schon mehr als pure Schlamperei zu stecken.

Doch auch bei der zweiten "großen Gefahr", dem Rechtsextremismus, scheint so einiges unklar zu sein. So wird die Zahl der politisch motivierten Straftaten von rechts mit 12.553 angegeben. Daß davon aber 8.455 ausschließlich Propagandadelikte sind, erschließt sich erst auf den zweiten Blick.

Auch sonst wird in diesem Kapitel des Berichts schnell klar, was man inzwischen alles unter "Rechtsextremismus" verstehen muß. Über geschichtspolitische Festlegungen wird die Zone des Rechtsextremismus großzügig ausgeweitet. So befindet sich derjenige, der im Datum des 8. Mai 1945 eher eine Niederlage denn eine Befreiung sieht, bereits auf verdächtigem Terrain. Und wer der Meinung ist, Deutschland trage am Ausbruch des Zweiten Weltkrieges nicht die Alleinschuld, bewegt sich in den Augen der Verfassungsschützer bereits im tiefbraunen Bereich. In einer anderen Publikation der Innenbehörde wird die "Kriegsschuldfrage" mittlerweile mit der Leugnung des Holocaust verglichen.

Unter "Ferner liefen" wurde das Kapitel Linksextremismus von Otto Schily abgehandelt. So wirkt die Zahl der politisch motivierten Straftaten von links mit 3.521 gegenüber den rechtsextremistischen Delikten geradezu gering. Dies erklärt sich dadurch, daß es sogenannte Propagandadelikte von links nicht gibt. Zu deutsch: Wer die Existenz sowjetischer Gulags, die Völkermorde Stalins verharmlost oder verleugnet oder die DDR verherrlicht, wird von der Staatsanwaltschaft unbehelligt bleiben und somit auch statistisch vom Innenministerium nicht erfaßt werden.

Auch sonst wimmelt es gerade in diesem Bereich von Unklarheiten. So werden der SED-Nachfolgerpartei PDS im Verfassungsschutzbericht gleich 13 Seiten gewidmet. "Auf der Basis von Programm und Statut wirken nach wie vor offen extremistische Kräfte innerhalb der Partei. Auch arbeitet die PDS weiter mit in- und ausländischen Linksextremisten zusammen", heißt es in dem Bericht. Mit keinem Wort geht die Innenbehörde auf die Tatsache ein, daß ausgerechnet Schilys Partei die PDS in den Bundesländern Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern als integren Koalitionspartner betrachtet.

Traditionell SPD-nahe Klassiker wie die Organisation Linksruck, die Sozialistische Alternative oder die Rote Hilfe sind auch in diesem Bericht wieder erwähnt. Daß es gerade im Bereich des militanten Antifaschismus fließende Grenzen zur demokratischen Linken gibt, scheint dem Innenministerium unbekannt zu sein.

Aktionsplattformen, die sowohl von Maoisten, Autonomen wie von Grünen- und SPD-Gliederungen unterstützt werden, sind alles andere als eine Seltenheit im linken Spektrum. Würde ein CDU-Politiker es wagen, gemeinsam mit einem NPD-Aktivisten eine Erklärung zu unterzeichnen, stünde die deutsche Politlandschaft Kopf. Auch über die enge Verstrickung der Gewerkschaften in den linksextremistischen Bereich schweigt sich der Verfassungsschutz aus.

Es stellt sich in der Tat die Frage, was ein solcher Bericht, der an vielen Stellen schlampig recherchiert, sich dafür tief in die Niederungen der Gesinnungsschnüffelei herabläßt und für die Regierungspartei SPD unangenehme Zusammenhänge völlig ausspart, eigentlich noch mit dem Schutz der Verfassung zu tun hat.


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