© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/05 20. Mai 2005

Geistige Mütterlichkeit
Gedenken an Helene Lange
Ellen Kositza

Die Assoziationen, die der Begriff "Frauenbewegung" gemeinhin weckt, haben nur begrenzt mit den deutschen Wurzeln jener Tradition zu schaffen. Vor 1968 verliefen die großen Züge der Frauenemanzipation in bürgerlichen Bahnen. Als große Namen jener frühen Zeit stehen die der Lebensgefährtinnen Gertrud Bäumer und Helene Lange.

Helene Lange, 1848 in Oldenburg geboren, legte als 24jährige in Berlin das Lehrerinnenexamen ab. Ihre "Kampfzeit" setzte 1887 mit den "Gelben Broschüren" ein, die von einer Petition an das Preußische Kultusministerium begleitet wurden. Darin forderte Lange eine größere Beteiligung von Lehrerinnen am wissenschaftlichen Unterricht in der höheren Mädchenschule sowie den Ausbau der Mädchenbildung allgemein. "Selten so gelacht", kommentierte der Berliner Stadtschulrat - das Ansinnen wurde zurückgewiesen. Lange gründete diverse Ausbildungsinstitute und schuf privat finanzierte Gymnasialkurse für Mädchen. Durch ihre Initiative legten 1896 erstmals sechs Frauen in Berlin das Abitur ab.

Die Partizipation der Frau am Gemeinwesen wollte Helene Lange nicht am Fließband der Fabrik oder dem Bürotisch verwirklicht sehen. Sie sprach von der "Kultursendung der Frau", einem Einfluß, der per Erziehungstätigkeit zu "voller innerer Entfaltung und sozialer Wirksamkeit" gelangen sollte. Anders als ihre sozialistischen Zeitgenossinnen kämpfte Lange gegen Entwicklungen der industrialisierten Gesellschaft, die die "Funktion der Familie zusehends verstaatlichen und verengen". Geistige Mütterlichkeit war ihr, der Kinderlosen, ein Leitbild. Solche Art der Familienerziehung, forderte sie, habe der Staat zu fördern und unterstützen.

Über ein Jahrzehnt stand Lange dem Bund Deutscher Frauenvereine vor. Jener verweigerte aufgrund inkompatibler Wertvorstellungen - unter anderem in der Abtreibungsfrage - sozialdemokratischen Frauenvereinen den Zutritt und lehnte auch die Teilnahme am ersten Frauenfriedenskongreß 1915 ab, statt dessen unterstützte man den Nationalen Frauendienst.

Keine egalitäre Vision - wie sie heute vorherrscht -, sondern ein geschlechtlicher Dualismus prägte Langes Konzepte: "Mann und Weib sind eben kein zufälliger Witz der Natur ; sie sind nicht nur zum körperlichen, sondern auch zum gemeinsamen geistigen Aufbau des menschlichen Geschlechts notwendig. Das Volk, das diese Wahrheit zuerst innerlich erfaßt und in die Tat umsetzt, wird einen neuen Kulturabschnitt einleiten. Die Deutschen werden es voraussichtlich nicht sein ..."

Am 13. Mai jährte sich der Todestag von Helene Lange zum 75. Mal.


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