© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/05 20. Mai 2005

Im Auftrag Seiner Majestäten
Vedutenmalerei: Eine Ausstellung im Kunsthistorischen Museum Wien zeigt Werke von Bernardo Bellotto, genannt Canaletto
Ekkehard Schultz

In Deutschland ist der aus Venedig stammende Maler Bernardo Bellotto (genannt Canaletto) in erster Linie den sächsischen Kunstinteressierten durch seine Ansichten von der Residenzstadt Dresden in der Mitte des 18. Jahrhunderts ein fester Begriff. Weit weniger bekannt ist, daß der wohl bekannteste Vertreter der Vedutenmalerei, d.h. der topographisch genauen Wiedergabe von Stadt- und Ortsbildern, neben den frühen Darstellungen aus seiner Heimat als Auftragskünstler Friedrich Augusts II. auch für den Wiener und Warschauer Hof tätig war.

Um so interessanter ist ein Rundgang durch die jetzt im Kunsthistorischen Museum in Wien gezeigte Gesamtschau über das Lebenswerk Canalettos. Die Ausstellung präsentiert 53 Gemälde, 15 Zeichnungen auf Papier und 3 Radierungen aus Sammlungen ganz Europas sowie aus Amerika, unter anderem aus der Londoner National Gallery, der National Gallery of Ireland in Dublin, der Turiner Galleria Sabauda, dem Budapester Museum für Schöne Künste, der St. Petersburger Eremitage, dem Warschauer Königlichen Schloß sowie der Washingtoner National Gallery of Arts.

Bereits Canalettos Onkel Giovanni Antonio Canal war ein erfolgreicher Vedutenmaler, der vor allem für Reisende aus England großflächige Bilder der Lagunenstadt Venedig anfertigte. Dieser bildete nicht nur den 1722 geborenen Bernardo Francesco Bellotto aus - der später auch dessen Kurznamen Canaletto übernahm -, sondern sorgte ebenso für die nötigen Kontakte zu potentiellen Auftraggebern und unternahm mit dem Jungen mehrere Studienreisen in die Umgebung Venedigs und nach Padua. Später unternahm der heranwachsende Künstler eigene Reisen nach Florenz, Rom sowie in die Lombardei, um seine Fähigkeiten zu vervollkommnen.

Bereits im Alter von 23 Jahren, als er einen Auftrag für zwei Veduten von Turin erhält, ist er ein gefragter Künstler. 1747 folgt er dem Ruf von Kurfürst Friedrich August II. (als König von Polen August III.) an den Dresdner Hof. Dieser ist so begeistert von seinen Fähigkeiten - ebenso wie sein großer Förderer, Staatskanzler Graf Heinrich von Brühl -, daß er Canaletto ein Jahr später zum Hofmaler mit einem garantierten Jahresgehalt von 1.750 Talern ernennt, eine für damalige Verhältnisse außergewöhnlich hohe Summe.

Hier malt er nicht nur Veduten für den König, sondern auch für das Gräfliche Palais. Sein heute wohl bekanntestes Gemälde dieser Jahre ist "Dresden vom rechten Elbufer unterhalb der Augustusbrücke", welches als eine der präzisesten Darstellungen der Dresdner Altstadt Mitte des 18. Jahrhunderts gilt. Canaletto paßt einige Gebäude bereits dem Stand nach erfolgtem Umbau an, der erst zum Zeitpunkt der Bildentstehung vorgenommen wurde, so den Turm der Katholischen Hofkirche und die Erhöhung der Brühlschen Bibliothek um ein Stockwerk.

Im Gegensatz zu den unmittelbar für die Königliche Gemäldegalerie gemalten Veduten sind die für die Galerie des Grafen Brühl angefertigten Gemälde, von denen ein Teil ebenfalls jetzt in Wien zu sehen ist, im deutschsprachigen Raum weitaus weniger bekannt, weil sie aufgrund der hohen Privatverschuldung des Staatskanzlers nach dessen Tode im Auftrag von Katharina II. angekauft wurden und auf diesem Weg nach Rußland gelangten. Dabei sind die Darstellungen der ehemaligen Festungswerke, des Neumarktes vom Jüdenhofe aus sowie des Zwingerhofes von ebensogroßem lokalhistorischen Reiz wie die Darstellung des Sonnensteines bei Pirna oder eine Silhouette der nur wenige Kilometer elbaufwärts gelegenen Kleinstadt. Sein Gemälde vom mächtigen Festungswerk Königstein in der Sächsischen Schweiz konnte Canaletto bereits nicht mehr vor Ort vollenden, da bereits 1756 preußische Truppen große Teile der Landeshauptstadt eingenommen hatten.

Als aufgrund der Kriegswirren weitere Aufträge des Königs sowie Brühls ausblieben, ging der Künstler im Dezember 1758 nach Wien, wo er bald von Kaiserin Maria Theresia mit Aufträgen versehen wurde. In den Jahren 1759/60 entstand so ein Reihe von Veduten der Residenzstadt an der Donau; so "Wien, vom Belvedere aus gesehen", vom Lobkowitzplatz, vom Universitätsplatz (heute Dr. Ignaz-Seipel-Platz) sowie von der Dominikanerkirche. Ebenso malt er mehrere Gemälde, die das gerade erst vor einem guten Jahrzehnt errichtete Schloß Schönbrunn wie auch das in der Nähe der March gelegene Schloß Schloßhof sowie die Ruine Theben zeigen.

1762 kehrte Canaletto nach Dresden zurück, wo er den Verlust seines durch preußisches Bombardement zerstörten Hauses samt zahlreicher Zeichnungen und Skizzen beklagen mußte. Im folgenden Jahr trifft es den Künstler noch härter: Durch den Tod seiner Gönner König August II. und Graf Brühl verliert er seine Stellung als Hofmaler. Canaletto steckt damit in großen Schwierigkeiten, zumal er das Geld für einen erheblichen Teil der bereits angefertigten Gemälde für das Brühlsche Palais nie bekam. Zwar erhält er 1764 auf Betreiben des sächsischen Hofes die Stellung eines Lehrers für perspektivische Künste an der neu gegründeten Kunstakademie, womit er sich über Wasser halten kann. Doch von Beginn an gibt ihm der Generaldirektor der Akademie, Ludwig Hagedorn, zu verstehen, daß er die Vedutenmalerei für zeitlich überholt und wenig wertvoll hält. "Canalettos Talent bey der Akademie sei zu entbehren", so Hagedorn. Daher ist der Künstler keineswegs dem Angebot abgeneigt, einen neunmonatigen Urlaub für eine Reise nach St. Petersburg zu nehmen.

1767 trifft er in Warschau ein, wo ihm König Stanislaw August Poniatowski so verheißungsvolle Angebote macht, daß Canaletto bis zu seinem Lebensende in der Weichselstadt bleiben wird. Er wird zum königlichen Hofmaler mit dem hohen Jahresgehalt von 400 Dukaten zuzüglich einer Reihe von Vergünstigungen ernannt. 1770 zeichnet der Künstler das Gemälde "Blick von der Vorstadt Praga aus", die einen herausragenden Blick auf das alte Warschau eröffnet. 1776/77 entstehen mehrere Veduten des Schlosses Wilanow; 1778/79 eine zweite Serie mit Motiven der Warschauer Altstadt, unter anderem von der Heilig-Kreuz-Kirche, dem Krasinski-Palais, dem Palais Lubomirski, dem Palais Mniszech sowie dem Blauen Palais. Diese Gemälde, die sich im Königlichen Schloß in Warschau befinden, wurden eigens für die Ausstellung nach Wien ausgeliehen. Am 17. Oktober 1780 stirbt Canaletto in Warschau und wird in der Kapuzinerkirche begraben.

Trotz des realistischen Gehalts sind in Canalettos Veduten häufig auch einige Idealisierungen enthalten. So wählte er Betrachtungspunkte, die den Blick auf einige Gebäude nicht in der dargestellten Art und Weise ermöglicht hätten, tauschte Licht- und Schatteneffekte aus; zeichnete Gebäude, die sich noch im Bau befanden, als bereits fertige Objekte und zeigte Kirchen und Giebel, die aus dem gezeichneten Blickwinkel nicht kenntlich waren. In einigen Gemälden zeichnete er auch Phantasieobjekte, die er aus mehreren realen Komplexen aus dem von ihn besuchten Orten Europas zusammensetzte.

Canalettos Gemälde sind nicht nur hervorragende Zeugnisse von Stadtentwicklungen des 18. Jahrhunderts, sondern bestechen auch durch ihre herausragende Maltechnik. Gleichzeitig sind sie Produkte der höfischen Kultur, in denen sich sowohl die Lebensart des Adels als auch der einfachen städtischen und ländlichen Bevölkerung widerspiegeln.

 

Die Ausstellung ist bis zum 19. Juni im Kunsthistorischen Museum Wien, Maria-Theresien-Platz, täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr, Do bis 21 Uhr, zu sehen. Tel. 00 43 / 1 / 52524-403 , E-Post: info.pr@khm.at 

Zur Ausstellung ist ein empfehlenswerter, reich bebilderter Katalog erschienen. Er hat 246 Seiten und kostet 35 Euro.

 

Bernardo Bellotto, "Dresden vom rechten Elbufer unterhalb der Augustusbrücke" (1751/53): Präziseste Darstellung der Dresdner Altstadt Mitte des 18. Jahrhunderts

Idealvedute mit Selbstbildnis Bernardo Bellottos in venezianischer Tracht (um 1765)


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