© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/05 20. Mai 2005

Schicksalhafte Momente
Tschechei: Denkmal für Edvard Benes / Vertreibung der Sudetendeutschen kein Thema
Mathilde Najdek

Vor dem Außenministerium in Prag ist am Pfingstmontag ein Denkmal eingeweiht worden. Das würde in Berlin, Wien oder Budapest eigentlich kaum jemand interessieren. Doch die Statue vor dem Cernín-Palais am Loretanske Namesti stellt den früheren tschechoslowakischen Präsidenten und "Erbauer" (so steht es auf der Statue) Edvard Benes dar, der 1945 die nach ihm benannten Dekrete erließ, die als Grundlage der Vertreibung und Enteignung von über 3,5 Millionen Sudetendeutschen (und Magyaren) in der damaligen Tschechoslowakei dienten.

Als einen Präsidenten, "der bei schicksalhaften historischen Momenten der Tschechoslowakei dabeigewesen ist", würdigte der neue sozialdemokratische Ministerpräsident Jiri Paroubek den umstrittenen Politiker. Der Präsident des tschechischen Abgeordnetenhauses, Lubomir Zaoralek, erklärte, daß Benes zusammen mit seinem Vorgänger Tomás Masaryk an der Gründung der demokratischen Tschechoslowakei beteiligt gewesen sei. Auch Mirek Topolánek, Vorsitzender der oppositionellen rechtsliberalen ODS von Präsident Václav Klaus, ging mit keinem Wort auf die unter Präsident Benes erfolgte "ethnische Säuberung" ein.

Da wundert es nicht, daß der zeitgleich in Ausburg stattfindende 56. Sudetendeutscher Tag (siehe Seite 4) und die dort geübte Kritik an der Prager Benes-Ehrung in allen politischen Lagern heftige Retourkutschen auslöste.

Typisch war die Reaktion des Prager Senatspräsidenten Premysl Sobotka: "Der Beschluß über den Abschub der deutschen Bevölkerung nicht nur aus der Tschechoslowakei, sondern auch aus anderen Ländern ist das Ergebnis des Nachkriegsabkommens der Siegermächte gewesen und keinesfalls der Willen der damaligen tschechoslowakischen Regierung und erfolgte auf der Grundlage der unmittelbar vergangenen Kriegsjahre", erklärte der ODS-Politiker zur Rede des bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber, der die Vertreibung als "Verbrechen gegen die Menschlichkeit und als großes und schweres Unrecht" bezeichnet hatte.

Wie angesichts solcher Vorgänge Bundeskanzler Gerhard Schröder am letzten Dienstag bei seinem Besuch in Prag zu der Einschätzung kommt, daß die deutsch-tschechischen Beziehungen in einem "ausgezeichneten Zustand" seien, bleibt sein Geheimnis.


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