© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/05 20. Mai 2005

"Selbst Herr über unsere Zukunft sein"
Interview: Der französische EU-Parlamentarier und Front-National-Generalsekretär Bruno Gollnisch über seine Gründe, die EU-Verfassung abzulehnen
Bernhard Tomaschitz

Herr Gollnisch, Umfragen zufolge will beim Referendum über die EU-Verfassung am 29. Mai etwa die Hälfte der Franzosen mit Ja, die andere mit Nein stimmen. Glauben Sie, daß Frankreich mit einem Nein zur EU-Verfassung diese zu Fall bringen könnte?

Gollnisch: Ich glaube, daß sich das "Nein" in Frankreich durchsetzen wird. Und tatsächlich kann das "Nein", die Ablehnung der Ratifizierung des Textes durch ein einziges Mitgliedsland, ausreichen, und diese Verfassung wird niemals in Kraft treten können. Die EU kann ein "Nein" Frankreichs nur schwer ignorieren oder das Ergebnis dieses Votums umgehen, wie es in Irland oder Dänemark passiert ist. Frankreich ist einer der "großen" Mitgliedsstaaten der EU, ein Gründungsmitglied und Nettozahler. Natürlich wird man auf mancher Seite versuchen, ein solches Hindernis kleinzureden und die Abstimmung in Frankreich vielleicht gar zu wiederholen, aber es wird dann noch viel schwieriger sein zu bestehen.

Wäre ein Nein Frankreichs zur EU-Verfassung das Ende der europäischen Integration, oder würde es zu einer Neuverhandlung über die Verfassung kommen?

Gollnisch: Auf keinen Fall stellt das ein Ende der europäischen Integration dar, vielmehr wird die Hoffnung auf eine grundlegende Richtungsänderung geschürt. Im Falle der Ablehnung wird die EU auch weiterhin funktionieren und zwar auf der Basis der bestehenden Verträge, wie sie zuletzt in Nizza modifiziert wurden. Das Zentrum der politischen Krise müßte man dann aber nicht in Brüssel suchen, sondern vielmehr in Frankreich selbst, vor allem in der Sozialistischen Partei, welche dann die Konsequenzen ihrer internen Widersprüche zu tragen hat. Somit müssen auch Regierung und Parlament, die beide sehr für ein "Ja" eintreten, ihre Lehren aus der Ablehnung durch das Volk ziehen. Der Verlauf des nationalen Ratifikationsprozesses nach einem "Nein" der Franzosen könnte dazu führen, daß sich auch andere Mitgliedsstaaten motiviert sehen, die Verfassung abzulehnen. Bei fünf oder sechs "Nein"-Ergebnissen müßte die EU-Verfassung im Falle einer Neuverhandlung unter komplett anderen Gesichtspunkten erarbeitet werden, was dann zumindest die nach Brüssel abgetretenen Politikbereiche betrifft.

Die Befürworter der EU-Verfassung, allen voran Präsident Jacques Chirac, argumentieren, daß Frankreich bei einer Ablehnung der EU-Verfassung in der EU politisch isoliert und an Einfluß verlieren würde. Sehen Sie das auch so?

Gollnisch: In keinster Weise. Als sich Frankreich gegen den zweiten Irak-Krieg stellte, und sich viele seiner europäischen Partner sowie beinahe alle Beitrittskandidaten hinter Washington stellten, war Frankreich damals isoliert? Ganz im Gegenteil, man hat die verbliebenen Mitstreiter wiedervereint. Und mit mehr Entschlossenheit hätte Frankreich noch weiter gehen können. Wie viele Völker Europas, die nicht von deren Regierung um ihre Haltung gefragt wurden, ich denke da vor allem an die Deutschen, stehen dem Text ablehnend gegenüber? Auch unter den Befragten werden es mehrere Völker Europas als Opfer des pro-europäischen medialen Drucks nicht wagen, mit "Nein" zu stimmen, weil sie denken, ihres wäre ohnehin nur eines der "kleinen" Mitgliedsländer oder vielleicht gar ein EU-Neumitglied, aber diese könnten dank des französischen Beispiels derartige Hemmschwellen überwinden! Frankreich ist weit davon entfernt, isoliert zu sein, und wird als Wegbereiter auftreten, der das Wort erhebt im Namen aller europäischen Völker, die das Projekt der EU-Verfassung ablehnen.

Ein anderes Argument der Befürworter lautet, daß mit der in der EU-Verfassung vorgesehenen gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik Europa mit einer Stimme spräche, was notwendig sei, damit Europa in der Weltpolitik eine Rolle spielen kann. Wie kann sich Europa in der Welt, vor allem im Verhältnis zu den USA, behaupten?

Gollnisch: Mit einer Stimme sprechen? Genau in diesem Bereich ist die Verfassung selbst alles andere als eindeutig. Wer spricht denn da jetzt für wen? Der europäische Super-Minister für außenpolitische Angelegenheiten oder der Ratspräsident, die ja ohnehin beide damit betraut sind, die EU nach außen hin zu repräsentieren? Wer wird in dieser Angelegenheit das Wort haben? Die Stimme der EU in ihrer Entität, die gegen die unterschiedlichen Interessen des einen oder anderen Mitgliedslandes spricht, oder jene, welche die Interessen aller Mitglieder vertritt? Wenn sich Brüssel also weigert, die Klausel zum Schutz vor der chinesischen Textilüberschwemmung ins Spiel zu bringen, entspricht das mit Sicherheit den Erwartungen jener Länder, die nicht in der Textilindustrie engagiert sind, während diese Entscheidung für die gesamte EU steht: Schon alleine wegen der globalen Einigkeit besteht kein Interesse, einen wirtschaftlichen Konflikt mit China vom Zaun zu brechen. Und schon gar nicht, wenn der Preis dafür mehrere Zigtausende zusätzliche Arbeitslose wären. Eine gewichtige Rolle in der internationalen Politik zu spielen, würde des weiteren bedeuten, auch eine unabhängige und konsequente militärische Gewichtigkeit zu präsentieren. Nun aber besagt der Artikel I-41 §7 der Verfassung sehr klar, daß die von den USA dominierte Nato das Fundament der EU-Verteidigung darstellt und auch als eingreifende Instanz fungiert. Anders gesagt, das politische Gewicht der EU hängt unweigerlich von Washington ab! Ich sehe keine Veranlassung, für diesen Verfassungstext zu stimmen, wenn die Stimme Europas jene von Mr. Bush sein wird.

Inwieweit spielen Gründe wie etwa der auch in Frankreich unpopuläre EU-Beitritt der Türkei oder die Dienstleistungsrichtlinie der EU für die ablehnende Haltung der Franzosen eine Rolle?

Gollnisch: Diese Themen sind eng miteinander verbunden. Die Türkei hat teilgenommen am Konvent und der zwischenstaatlichen Konferenz zur Entwicklung der Verfassung. Ebenso hat sie den finalen Akt in Rom am 29. Oktober 2004 unterzeichnet. Der Text wurde so auf den Beitritt eines muslimischen Landes in die Europäische Union adaptiert, daß alle Bezüge auf die christlichen Wurzeln Europas gestrichen wurden. In der Verfassung hängt die Gewichtigkeit jedes Mitgliedsstaates in den Institutionen prinzipiell von der jeweiligen Bevölkerungszahl ab. Anders gesagt, die Türkei mit perspektivisch 100 Millionen Einwohnern wäre dann das Land mit dem meisten Einfluß auf die europäischen Entscheidungen! Was die oft erwähnte Richtlinie von Ex-EU-Kommissar Frits Bolkestein betrifft, so sind die Grundsätze, darunter auch jener Grundsatz des Herkunftslandes, in die Verfassung aufgenommen worden, und zwar in den Artikeln III-144 bis III-148. Ein "Nein" zur Verfassung wäre also gleich bedeutend mit einem "Nein" zum Beitritt der Türkei sowie der multikulturellen Ausweitung der EU.

Aus welchen Gründen lehnt Ihre Partei die EU-Verfassung ab?

Gollnisch: Die Worte sind niemals unschuldig. Wenn der Text als Verfassung bezeichnet wird, heißt das, es wird ein Staat gegründet. In diesem Falle ein europäischer Super-Zentralstaat, der über alle Nationen hinwegschreitet. Der wesentliche Grund, der uns antreibt, ist, daß wir unsere Identität wahren und selbst Herr über unsere Zukunft sein wollen. Damit verteidigen wir das Recht eines jeden Volkes, vor dem Hintergrund der eigenen Identität selbst darüber entscheiden zu können.

Halten Sie eine Verfassung für die EU überhaupt für sinnvoll? Welche Kompetenzen sollte Brüssel haben, und welche sollten bei den Mitgliedstaaten bleiben?

Gollnisch: Wir stehen einem europäischen Einheitsstaat und der ganzen Verfassung ablehnend gegenüber. Das einzig vertretbare Projekt in diesem Rahmen ist jenes eines Kooperationsvertrages der den souveränen Staaten erlaubt, in frei gewählten Interessensbereichen zusammenzuarbeiten. Und das ist auch möglich, ohne sich durch die Brüsseler Bürokratie kämpfen zu müssen, wie es die Erfolge von Airbus und Ariane bewiesen haben. Diese Projekte sind dem Brüsseler Europa absolut keine Rechenschaft schuldig. Im Gegenteil, wenn Brüssel seine Nase in alle diese Angelegenheiten gesteckt hätte, indem Monopole und staatliche Unterstützungen verboten worden wären, hätte man diese Projekte niemals aus der Taufe heben können. Es sind nicht nur wirtschaftliche Bereiche, in denen eine derartige Kooperation möglich wäre: Die Polizeieinheiten etwa haben nicht erst einen EU-Vertrag benötigt, um kooperieren zu können. Interpol und der internationale Haftbefehl existieren seit Jahrzehnten.

Was sind die dringendsten Aufgaben, die Europa künftig lösen muß?

Gollnisch: Das ist vor allem das demographische Problem. Es ist unbedingt nötig, die Geburtenraten in allen Ländern Europas zu dynamisieren indem man familienfreundliche politische Aktivitäten in die Tat umsetzt. Davon hängt nämlich eine Vielzahl von Bereichen ab: das Überleben unseres sozialen Schutzsystems, das Wirtschaftswachstum, unsere internationale Position, aber natürlich auch der Weiterbestand unserer Identität. Die Natur hat Angst vor dem Vakuum, sagt man. Der demographische Einbruch, der sich in Europa abzeichnet, fördert die massive Zuwanderung und somit das Ersetzen unserer Bevölkerung durch nicht-europäische Bevölkerungsgruppen, die leider viel zu oft keine Bereitschaft zeigen, sich hier zu integrieren, sondern vielmehr darauf abzielen, uns heute deren Gesetze und Sitten aufzudrängen. Genau das wäre durch die Europäische Verfassung zusätzlich erleichtert, jenem Text, der jede Diskriminierung auf nationalen Ebenen verbietet, den Mitgliedsländern jedes Recht entzieht, über den Zutritt Fremder auf das eigene Territorium zu entscheiden, und ihnen vorschreibt, auch all jene aufzunehmen, die sich vielleicht aus x-beliebigen Gründen im EU-Gebiet aufhalten. Nur eine kühne Familienpolitik, eine restriktive Immigrationspolitik und eine komplett neu überdachte Politik der Entwicklungshilfe könnten diese Probleme lösen.

 

Prof. Dr. Bruno Gollnisch, Jahrgang 1950, ist seit 1980 Rechtsanwalt in Paris und seit 1981 Professor für Japanisch und japanische Kultur an der Universität Lyon. Seit 1986 Mitglied des politischen Vorstands und seit 1995 Generalsekretär des Front National (FN). Außerdem ist Gollnisch Mitglied des Stadtrats von Lyon und Mitglied des Regionalrates von Rhônes-Alpes. Im EU-Parlament ist Gollnisch seit 1989, derzeit Mitglied des Ausschusses für Wirtschaft und Währung, Vize-Mitglied im Ausschuß für Verkehr und Fremdenverkehr sowie Mitglied der Delegation für die Beziehungen zu Japan.

 Foto: Bruno Gollnisch im EU-Parlament: Es droht ein Super-Zentralstaat, der über alle Nationen hinwegschreitet

 

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