© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/05 20. Mai 2005

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Kirchentag: Die Organisatoren der evangelischen Großveranstaltung bleiben sich treu / Feministische Theologie und Begegnungen mit Muslimen
Peter Freitag

Am Mittwoch nächster Woche beginnt in Hannover der 30. Evangelische Kirchentag, zu dem wieder rund 100.000 Besucher erwartet werden. Bis Sonntag soll das größte protestantische (Laien-)Treffen auf dem Messegelände und in den Kirchen der Leinestadt als "Kirche in Bewegung" stattfinden. Gut 600 Seiten umfaßt das Programmheft der Veranstaltung, die mit dem nicht gerade bescheidenen Anspruch an die Besucher herantritt, "evangelische Zeitansage, Fest und Manifest des Protestantismus, eine Sprachschule des Glaubens und ein Seismograph für Kirche und Welt - ein vielfältiger Markt der christlichen Möglichkeiten, ein Ort von Dialog und Begegnung, eine an- und aufregende Mischung von ernstem Nachdenken und fröhlichem Feiern" zu sein.

Die Jubiläumsausgabe des Kirchentages findet nicht ohne Grund in Hannover statt, da hier 1949 die erste Veranstaltung dieser Art als "Evangelische Woche" begangen wurde, die EKD also zumindest lokal an ihre Ursprünge gerne zurückkehren möchte. Auf ein verbreitetes Interesse der kirchlichen Öffentlichkeit stößt er jedoch auch aufgrund der Tatsache, daß es sich um den ersten Evangelischen Kirchentag nach dem Ökumenischen Kirchentag in Berlin im Jahr 2003 handelt. Auf die "ökumenische Veränderung" wies daher auch die Generalsekretärin des Kirchentages, Friederike von Kirchbach, ausdrücklich hin. Das Motto des diesjährigen Kirchentages "Wenn dein Kind dich morgen fragt ..." (5. Mose 6,20) ist ein Kernbestand des jüdischen Glaubensbekenntnisses, das an die Rettung Israels aus der ägyptischen Fremdherrschaft erinnert. Die Begründung für den Sinn dieser Losung fällt typisch für die aktuelle evangelische Kirche aus. Zum einen ist es der Hinweis auf den Glauben der jüdischen "Freundinnen und Freunde" zum andern die angestrengte Übertragung auf "aktuelle, existentielle Fragen unserer Gesellschaft": "Wie viele Kinder werden morgen wie viele Großeltern etwas fragen können? Welche Welt hinterlassen wir ihnen? Das fragende Kind steht für die Zukunft überhaupt und erinnert zugleich an unsere eigenen Fragen als Kind."

Dabei ist allein schon die "Übersetzung für den Kirchentag" des Textes aus der Sprache der Luther-Bibel ein beredtes Zeugnis für das politisch und theologisch korrekte Selbstverständnis der verantwortlichen Protestanten. Anstelle des "Sohnes" bei Luther heißt es jetzt "Kind", aus dem "Herr" wird im weiteren Verlauf des Verses das hebräische Original "Adonaj", und aus den "Knechten" werden die "Sklavinnen und Sklaven".

Neben der Präsentation von Firmen, Einrichtungen und Gemeinschaften, die in einem weiteren Sinne evangelisch oder zumindest religiös orientiert sind, finden auf dem Messegelände Vortrags- und Diskussionsforen statt. Thematische Schwerpunkte sind dabei die Fragen: "Wie können wir glauben?", "Wie wollen wir leben?" und "Wie sollen wir handeln?" Die Bandbreite reicht darunter von protestantischer Spiritualität über Begegnungen mit Muslimen, feministische Theologie, das Verhältnis der Geschlechter bis zur Globalisierung.

Neben zahlreichen kirchlichen Würdenträgern werden Kirchentagspräsident Eckhard Nagel und die hannoversche Landesbischöfin Margot Käßmann als Gastgeber auch prominente Vertreter aus der Politik begrüßen können, darunter Bundespräsident Horst Köhler, Bundeskanzler Gerhard Schröder, den niedersächsischen Ministerpräsidenten Christian Wulff sowie die CDU-Vorsitzende Angela Merkel. Eine Eröffnungspredigt wird außerdem Bundestagspräsident Wolfgang Thierse halten, für ein Forum zum Thema Ausländer ist der bayerische Innenminister Günther Beckstein (CSU) angemeldet.

Waren frühere Kirchentage nicht selten ein Schauplatz eskalierender Konflikte (etwa in Hannover 1983), an denen es zu Tumulten linksextremer Gruppierungen kam, hat sich die Lage in den letzten Jahren deutlich beruhigt. Im Vorfeld des 30. Kirchentages sorgte nur der geplante Auftritt des vorbestraften ehemaligen Vizevorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, Michel Friedman, für Aufsehen (JF 12/05), der zum Thema "Wahrheit" referieren sollte. Nach Protesten zog Friedman seine Zusage zurück.

Unerläßlich scheint jedoch eine spezifische Form der Folklore zum Kirchentag zu gehören; in diesem Jahr ein blauer Schal als "ein Zeichen für das dringend erforderliche Umdenken zum Schutz unseres Klimas".

 

Blauer Schal als Symbol des Kirchentages: Folklore scheint unerläßlich zu sein


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