© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/05 20. Mai 2005

Russisches Linsengericht
Bernd-Thomas Ramb

Die Ankündigung Rußlands, 15 Milliarden Euro Schulden vorab zurückzuzahlen, hat bei den betroffenen Gläubigerstaaten große Zustimmung gefunden. Die Bundesregierung, die an dem "Geldsegen" mit fünf Milliarden beteiligt ist, kann mit dem unerwarteten Liquiditätszufluß die immer stärker aufreißenden Finanzierungslöcher stopfen - wenn auch nur fadenscheinig. Dabei sind bereits fünf Milliarden Euro aus den bestehenden Rußlanddarlehen in den laufenden Haushalt eingeflossen. In dieser Höhe wurden Forderungen der Bundesregierung an private Investoren abgetreten. Die deutschen Rußlandrücklagen von insgesamt 14,1 Milliarden Euro schmelzen damit innerhalb eines Haushaltsjahres um 70 Prozent.

Während der Verkauf der Forderung an private Investoren die russischen Schulden nicht schmälert, bedeutet die jetzt von Rußland ausgehandelte Rückzahlung eine echte Tilgung. Dabei werden die Beträge zum Nennwert auf die Kredite angerechnet. Die Gläubiger fordern also keine Abschläge wegen ausfallender Zinszahlungen. Wie beim Verkauf der Schuldentitel verzichtet die Bundesregierung nochmals auf Zinseinkünfte in den nachfolgenden Staatshaushalten. Aus Gier nach jetzigen Einnahmen werden Vermögenswerte preisgegeben - und dies nicht, um bestehende eigene Schulden auszugleichen, sondern um den aktuellen Staatskonsum zu finanzieren. Das erinnert an die biblische Erzählung von Esau, der sein Erbe an seinen jüngeren Bruder Jakob verkaufte - wegen eines Linsengerichts. Die Bundesregierung kann bald nur noch Schulden vererben.


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