© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 20/05 13. Mai 2005

Der Lebenszyklus des Terrors
Der Regensburger Politologe Alexander Straßner sieht al-Qaida in "quasinatürlicher" Auflösung
Oliver Busch

Frohe Kunde aus Regensburg: "Terroristische Organisationen sind als soziale Systeme dauerhaft nicht überlebensfähig." Folglich werde auch der Aktionismus religiös motivierter Organisationen keinen Erfolg zeitigen.

Diese mit größter Entschiedenheit vorgetragene Prognose (Zeitschrift für Politik, 4/2004) wagt der Assistent am Lehrstuhl für vergleichende Politikwissenschaft an der Universität Regensburg, Alexander Straßner, der 2003 mit einer Dissertation über die "dritte Generation" der Rote Armee Fraktion (RAF) promoviert wurde.

In seiner nun präsentierten Typologie terroristischer Gruppen ist die bundesdeutsche RAF nur noch ein Unterfall. Mit den anderen Formationen, die in den siebziger und achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts Europas "Metropolen" verunsicherten, den italienischen Roten Brigaden und der französischen Action Directe, zählt Straßner die bundesdeutsche RAF zu dem schwächsten Typ terroristischer Organisationen - dem "sozialrevolutionären".

Mehr oder weniger explizit sich auf Karl Marx berufend, hätten diese Gruppen sich die Umgestaltung gesellschaftlicher Realität auf die Fahnen geschrieben und im "bewaffneten Kampf" versucht, Kapitalismus, Imperialismus und die allgemeine "Welt-Unordnung" zu beseitigen. Ihre Mission, eine "humanere Welt" heraufzuführen, habe ihnen im Gefolge der 68er-Bewegung zwar "enorme latente Unterstützung" verschafft, doch sei dieses Sympathisantenmilieu nach dem blutigen "deutschen Herbst" 1977 zerbröselt. Der Zusammenbruch des Ostblocks habe dann auch die Auflösung der letzten Schwundformen sozialrevolutionär-marxistisch motivierter "Kampfgruppen" in Westeuropa bewirkt.

Wie Straßner nachzuweisen bemüht ist, ist ein solcher Zerfall kein akzidentielles Phänomen, das nur unter günstigen historischen Umständen wie denen von 1989 auftritt. Straßner glaubt vielmehr eine gesetzmäßige Zwangsläufigkeit entdeckt zu haben, der jede Terrororganisationen unterworfen ist. Dieser "Lebenszyklus" verlaufe über Gründungs- und Formierungsphase, Aktionsphase, eine nach ersten Erfolgen oder Rückschlägen einsetzende "Rekonvaleszenzphase" schließlich zur Delegitimations- und endlich zur Auflösungsphase.

Gerade die beiden Typen terroristischer Kampfverbände aber, der "ethnisch-nationalistisch motivierte Terrorismus" und der "religiös motivierte Terrorismus", scheinen der von Straßner deklarierten Gesetzmäßigkeit nicht gehorchen zu wollen. Denn weder haben sich ETA, IRA oder Tamil Tigers auch nach jahrzehntelangem Kampf bisher aufgelöst, noch zeigen Hamas, Hisbollah oder al-Qaida Ermüdungserscheinungen.

Straßner sieht das anders. Zwar muß er zugeben, daß die nationalistische wie die religiöse Spielart des Terrors es zu einer "erheblichen Integrationskraft" gebracht habe, zumal sich etwa in Palästina die religiöse Motivation mit ethnisch-nationalen und auch mit sozialrevolutionären Inhalten "vermenge". Ob man bei solcher Konstellation überhaupt noch von Terrorismus sprechen kann, scheint Straßner selbst bedenklich, zumal er den 1944 einsetzenden israelischen Kampf gegen die britische Mandatsmacht als Guerilla- und damit als Befreiungskrieg einstuft, die Intifada der Palästinenser aber partout dem Terrorismus zuschlagen will.

Der 11. September war der "aktivistische Höhepunkt"

Von solchen schwierigen und von Straßner nur unzureichend beantworteten Abgrenzungsfragen einmal abgesehen, ist es immerhin diskutabel, wenn er glaubt, auch bei so hochintegrativen Zusammenschlüssen wie ETA oder al-Qaida Auflösungserscheinungen beobachten zu können. Wie bei der Ermordung Schleyers für die RAF der "Initialpunkt der Delegitimierung" auszumachen sei, so hätten die letzten Attentatswellen von ETA und IRA unverkennbar zu "Isolationstendenzen" geführt. Die Massendemonstrationen in Irland und im Baskenland signalisierten, daß die beiden gefährlichsten Terrororganisationen Europas offenbar vor ihrem Ende stünden.

Unter Berufung auf die freilich nicht sonderlich überzeugenden Analysen des Orient-Fachmanns Bassam Tibi meint Straßner, die "relative Isolierung" erkennen zu können, in die al-Qaida gerade durch die gesteigerte Militanz geraten sei. Der "aktivistische Höhepunkt" des 11. September 2001 weise bereits auf das Ende des islamistischen Terrorismus hin. Denn genausowenig wie die Ermordung von Schleyer, von Aldo Moro oder Carrero Blanco habe der Massenmord in New York die erhoffte revolutionierende Wirkung gehabt, sondern "quasinatürlich" in die fortschreitende Isolation der Täter geführt. Allerdings werde sein "gegenwärtig hoher Integrationscharakter" sowie die daraus resultierende lange Lebensdauer das Phänomen al-Qaida "noch für unbestimmte Zeit auf der politischen Agenda belassen". Vielleicht wird Straßner in diesem Fall also die Bestätigung seiner Behauptung über den "quasinatürlichen", gesetzmäßigen Zerfall von Terrororganisationen selbst nicht mehr erleben.

Foto: Islamist Abu Bakar Ba'asyirim wird zu 30 Monaten Haft verurteilt, Jakarta März 2005: Der Terror zeigt keine Ermüdungserscheinungen


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