© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 20/05 13. Mai 2005

Schreckgespenst mit Gehgestell
Warmherzig: "Walk on Water" von Eytan Fox ist nichts für Betonköpfe
Claus-M. Wolfschlag

Deutliche Anzeichen sprechen dafür, daß die junge Generation längst der Thematik jener allgegenwärtigen NS-Vergangenheitsbewältigung überdrüssig geworden ist. Immer noch wachen alte Cliquen im Polit- und Medienapparat darüber, daß innerlich hohle Bußrituale befolgt werden, und erheben den Zeigefinger gegen alle "Relativierer", "Geschichtsvergessenen" oder solche, die sich nicht der "besonderen Verantwortung" zu stellen bereit seien. Wenn sich gegen diese Praxis eine künstlerische Stimme erhebt, die zudem aus Israel stammt, verdient sie Aufmerksamkeit.

"Walk on Water" ist der dritte Spielfilm des in den USA geborenen Israelis Eytan Fox. Sein Debüt "Song of the Siren", eine während des ersten Golfkriegs in Tel Aviv angesiedelte Liebeskomödie, wurde 1994 der größte Kinoerfolg Israels. "Walk on Water" dreht sich um Eyal (Lior Ashkenazi), einen eiskalter Auftragskiller des Geheimdienstes Mossad.

Doch Eyal befindet sich seit dem Selbstmord seiner Ehefrau in einer Lebenskrise. Nur unwillig akzeptiert er den neuesten Auftrag: Der seit Kriegsende untergetauchte NS-Kriegsverbrecher Alfred Himmelmann soll aufgespürt und liquidiert werden. Eyal soll aus diesem Grund unauffällig Kontakt zu Himmelmanns Enkeln aufnehmen, die in Israel weilen. Enkelin Pia (Carolina Peters) lebt in einem Kibbuz und erhält soeben Besuch von ihrem homosexuellen Bruder Axel (Knut Berger). Eyal überwacht die beiden als ihr Fremdenführer und lernt dabei die linksliberale Lebenseinstellung der jungen Deutschen kennen, die ihn zur Reflexion über sein eigenes Tun zwingt. Als Eyal erfährt, daß der gesuchte Himmelmann zur 70. Geburtstagsfeier seines Sohnes in Berlin erwartet wird, erhält er den Auftrag, nach Deutschland zu reisen. Doch er will nicht mehr töten und verschont den schlafenden Greis. Axel, der ihn im Schlafzimmer des Großvaters erwischt, tötet Himmelmann an seiner Stelle.

Fox hat einen bemerkenswerten Film geschaffen, der für ein Ende der Vergangenheitsbewältigung plädiert und vielen jüdischen und deutschen Betonköpfen aufstoßen dürfte. Offen erklärte er: "Ich bin davon überzeugt, daß die Israelis zu besessen vom Holocaust und ihrem Opferstatus sind und daher blind gegenüber der Tatsache, daß sie selbst zu Aggressoren geworden sind, indem sie den Palästinensern Schmerz und Leid zufügen. Ich glaube, wenn die Israelis anfangen, mit ihrer Vergangenheit Frieden zu schließen, ist das der erste Schritt, daß sie sich klar werden, wie grausam sie geworden sind."

Nicht mehr belastet, sondern leichtfüßig wie Jesus' Gang über das Wasser, soll die Zukunft der Völker sein. So findet der weinende Israeli Trost in den Armen eines schwulen Deutschen und sein Lebensglück an der Seite einer "Nazi"-Enkelin - ein provokatives Ende allemal.

Fox' Werk ist eine warmherzige Freundschaftserklärung an die Deutschen. Die Vergangenheit soll begraben werden. Agent Eyal erregt sich während seiner Recherche mehrmals gegenüber seinem alten Chef, der immer noch persönliche Rechnungen begleichen möchte, wann denn die "Nazi"-Hatz endlich ein Ende habe. Mit diesem Ansatz ist Fox viel mehr der Zukunft zugewandt als jene Deutschen, die der "Holocaust-Industrie" (Norman Finkelstein) dadurch zu entkommen trachten, indem sie lautstark die Schlachten von vorgestern noch einmal schlagen.

"Walk on Water" muß sehr symbolistisch interpretiert werden, enthielte der Film ansonsten doch zu viele Stereotypen. Dies gilt vor allem für das in Deutschland spielende letzte Viertel, dem die analytische Schärfe der Sicht auf die sozialen Verhältnisse fehlt, die in Israel noch gelingt.

Zu Grimassen ihrer selbst gewordene, gierig kreischende Transsexuelle symbolisieren hier das liberale Deutschland, die obligatorischen Skinhead-Schläger machen im Gegenzug als Klischees U-Bahn-Stationen unsicher. Der Höhepunkt des Geschehens ereignet sich ausgerechnet in einer großbürgerlichen Villa am Wannsee. Der Jude kehrt also an den Ort des Verbrechens zurück. Dort taucht dann auch der "Nazi"-Großvater schließlich wie das Schreckgespenst im Kleiderschrank nach 60 Jahren des Versteckens urplötzlich bei der Geburtstagsfeier seines Sohnes mit einem Gehgestell auf.

Es gibt aber noch eine Interpretation des Films hinter der vordergründigen. So wie die jungen Juden, stellvertretend verkörpert durch den sympathischen Eyal, nach langem inneren Kampf scheinbar den Weg der Gesundung beschreiten, so krank sind eigentlich noch die vordergründig als "gesundet" dargestellten liberalen Deutschen.

Die nicht nur gegenüber ihren Eltern unerbittlich gutmenschliche Pia leistet mit glasig verklärten Augen Sühnearbeit im Kibbuz. Keiner der dortigen Bewohner ist so begeistert von alten jüdischen Volkstänzen wie die "aufgeklärt" hüpfende Berlinerin. Sie zeigt perfekt jenen xenophilen Personentypus, der in seiner Heimat für ähnliche deutsche Volksbräuche nur Verachtung übrig hat.

Ähnlich ihr politisch-korrekter Bruder, der in Berlin Migrantenkinder betreut. Läuft etwas allerdings gegen den linksliberalen Strich, zeigt sich hinter der toleranten Maske rasch ein ganz anderes Gesicht. Schließlich spielt sich Axel noch als selbstgerechter Vollstrecker auf, indem er dem schwerkranken, schlafenden Großvater das Beatmungsgerät abdreht. Man kann diese Handlung als symbolischen Akt des Tötens der Vergangenheit interpretieren, man kann darin aber auch jene beängstigende "Nazi"-Fratze erkennen, die hinter dem "antifaschistischen" Getöse hierzulande steht.

Auch wenn dies Eytan Fox mit seinem interessanten Film wohl gar nicht beabsichtigt hat: Hier sieht man die unbewältigte Vergangenheit der Deutschen jenseits der vordergründigen Gedenk- und Ausgrenzungskultur, die Wunden nicht schließen, sondern offenhalten will. Denn auch in Deutschland ist es noch ein steiniger Weg, bis endlich Frieden mit der Vergangenheit geschlossen werden kann.

Foto: Axel (Knut Berger), Eyal (Lior Ashkenazi): Leichtfüßig in die Zukunft


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