© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 20/05 13. Mai 2005

Hubertus Knabe
Der Einzelgänger
von Doris Neujahr

Die Geschichten der DDR und der BRD lassen sich vollständig nur begreifen, wenn man sie aufeinander bezieht. Diese Banalität hat durch die Bücher des Historikers und Buchautors Hubertus Knabe eine brisante Bedeutung erhalten. Regelmäßig beschäftigen die Kontroversen um seine Bücher - aktuell ist es die Auseinandersetzung um den Titel "Tag der Befreiung?" (Propyläen, 2005) - die Feuilletons.

Knabe ist ein exzellenter Kenner der Stasi-Akten. Die Frage, warum maßgebliche Kreise der Bundesrepublik Deutschland dem "Diskreten Charme der DDR" (Propyläen, 2001) erlagen, beantwortet er damit, daß der westliche Teilstaat eine in weiten Teilen "Unterwanderte Republik" (Propyläen, 1999) gewesen sei. "Kompromißlose Gegner der SED", so Knabe, "wurden, unter tatkräftigem Zutun der Staatssicherheit, auch im Westen ausgegrenzt." Im forcierten Antifaschismus der Gegenwart sieht Knabe eine Ersatzhandlung bundesdeutscher Funktionseliten, die die Selbstreflexion nach wie vor scheuen. Trotz spürbaren Zorns hat Knabe sich nie die Perspektive des Kammerjägers zu eigen gemacht. Seine Bücher berücksichtigen die historischen Zusammenhänge und Proportionen, sie sind von Neugier, Vorurteilsfreiheit und der Fähigkeit zur Empathie geprägt.

Sein Interesse für das Erbe sozialistischer Gesellschaften hat tiefe Wurzeln. 1959 wurde er in Unna geboren. Die Eltern waren Zonen-Flüchtlinge, bei einem Verwandtenbesuch in der DDR lernte er 1979 seine spätere Frau kennen, die er nach den üblichen Prozeduren in den Westen holen konnte.

Knabe ist davon überzeugt, daß Rücksichten auf politische Vorgaben mit dem Historikerethos unvereinbar sind. Seine Kompromißlosigkeit verschafft ihm nicht nur Freunde. Von 1992 bis 2000 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter der Gauck-Behörde. Das Buch "Der diskrete Charme der DDR" bedeutete den Bruch (JF 14/01). Seitdem ist er Direktor der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen im ehemaligen Zentralgefängnis der Staatssicherheit. Die Stasi-Hinterlassenschaften sind für ihn "eine Art Apotheke gegen die Versuchungen totalitärer Diktaturen. Wer einmal im Gefängnis in Hohenschönhausen war, wird sich von den Versprechungen des Kommunismus nicht mehr so leicht betören lassen." Knabe gehört zu den selten gewordenen Liberalen, die offensiv den antitotalitären Konsens vertreten. Er glaubt nicht, daß die Deutschen heute befähigter zum Widerstand sind als die geschmähten Vorgänger-Generationen. Wie weit die institutionelle Konditionierung zum gesellschaftlichen Opportunismus inzwischen geht, hat er gerade wieder selbst erlebt: Sein neues Buch, das sich mit der sowjetischen Besatzung in Ost- und Mitteldeutschland beschäftigt, sollte "Kein Tag der Befreiung" heißen. Der Propyläen bestand jedoch auf "Tag der Befreiung?": Ein weiteres Indiz dafür, wieviel häßliches DDR-Erbe zum Bestandteil der BRD-Wirklichkeit geworden ist.

 

Berichtigung

Entgegen der Darstellung im Porträt von Hubertus Knabe (JF 20/05) wurde der ursprünglich geplante Buchtitel "Kein Tag der Befreiung" in "Tag in der Befreiung?" nicht auf Druck des Propyläen-Verlags, sondern auf Wunsch des Autors verändert.

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