© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 20/05 13. Mai 2005

Urlaub statt Nachwuchs
Familienpolitik: Jede Gesellschaft bekommt so viele Kinder, wie sie verdient
Ellen Kositza

Die beiden neuesten Studien zur Bevölkerungsentwicklung des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BIB) sowie des Bundesfamilienministeriums sind zwar erneut sehr umfänglich geraten, doch das Resultat ist mau: Man wünscht (finanzielle Entlastung, professionelle Kinderbetreuung), man entbehrt (sogenannten Lebensstandard, Anerkennung als Eltern), und daher müßte und sollte man: regionale Infrastrukturen ausbauen, Gelder umverteilen, familienfreundliche Betriebe fördern, und was an punktuellen Wünschbarkeiten sonst noch kursiert.

Es wird nicht nur debattiert, hier und dort wird bereits gehandelt - oft allerdings mittels Maßnahmen, die an blinden Aktionismus gemahnen: Man setzt Milliarden für Ganztagsschulen frei, man knüpft den Bezug von Erziehungsgeld an niedrigstes Einkommen, um Frauen die Entscheidung für einen Wiedereinstieg in den Beruf zu erleichtern. Das vorherrschende, anonyme "man" ist vielsagend: Der alten Forderung der 68er gemäß wird eine "Politik des Privaten" für notwendig erachtet, aber dennoch bleibt es - dem damals revolutionären Ruf entgegengesetzt - eine Politik der "dritten Person": Der Berg kreißt, während das Volk weiterhin viel zu wenig Kinder zeugt, um wenigstens seinen Bestand zu sichern. Die teuer bezahlte Vermehrung der veröffentlichten Umfrageergebnisse und Statistiken korreliert in keiner Weise mit einem erhofften Geburtenanstieg.

Und mehr noch: Es gibt keinen Anlaß, einen solchen zu erwarten. Weder die graphische Darstellung bundesdeutscher "Zeit- und Präferenzszenarien" noch die erfragte Rangfolge der von Otto Normalverbraucher und Lieschen Müller befürworteten Maßnahmen zur Finanzierung des Rentensystems vermögen das einzig Wirksame zu leisten: die Gebärlust der Deutschen anzufachen. Geradezu atemberaubend ist eine Zahl, die die BIB-Studie preisgibt: 26 Prozent der deutschen Männer haben nicht einmal den Wunsch nach einem einzigen Kind.

Wenigstens einige bislang unerwähnte Ansätze bietet das Gutachten "Nachhaltige Familienpolitik", das der Soziologe Hans Bertram im Auftrag des Familienministeriums vorlegte. Zuvörderst ist hier der Blick auf die Mehrkinderfamilie zu richten: In kinderreicheren Ländern gibt es oft ähnlich viele kinderlose Frauen wie hierzulande, während die Prozentzahl von Familien mit drei oder mehr Kindern jedoch deutlich höher ist. Die derzeitige Diskussion, so Bertram, polarisiere zwischen kinderlosen Frauen und solchen mit Kind und lasse Lebensentwürfe von Vielfachmüttern außer acht - Erwerbstätigkeit und anhängende Überlegungen der Kinderbetreuung spielen meist keine Rolle mehr, wo drei, vier oder mehr Kinder versorgt werden müssen.

Dankenswerterweise widerlegt das Gutachten auch den häufig und unhinterfragt wiedergekäuten Zusammenhang zwischen "größerer weiblicher Autonomie" und niedriger Fruchtbarkeit: Längst sollte nicht mehr das mit einem Image der Rückständigkeit behaftete Glucken-Schema herrschen, es sind weithin selbstbewußte Frauen mit ganz eigenen Vorstellungen, die sich dem Job-Leben entziehen und die sogenannte Selbsterfahrung in den häuslichen Bereich delegieren.

In einem früheren Zeitungsartikel wollte Bertram statt von einer Krise - wie es geboten wäre - nur von "Familie im Wandel" sprechen. Solche Terminologie spricht Bände über die Annahme einer entscheidungsbegabten Autonomie des gebär- und zeugungsfähigen Bürgers. Statt in Bezug auf die Reproduktionsquote Normen zu formulieren und deren Erfüllung zu unterstützen und honorieren, wird deskriptiv, rein beschreibend, verfahren. Dabei gebiert die x-te Darstellung der Gründe für einen Kinderverzicht keinen Nachwuchs. Es ist die Optionsvielfalt moderner Lebensläufe, die den Kinderwunsch ins Hintertreffen geraten läßt.

Immerhin erfreulich deutlich und realitätsverhaftet stellt sich dagegen die jüngste Stellungnahme des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft dar, wonach Renten künftig an die Zahl der aufgezogenen Kinder gekoppelt sein sollten. "Familien mit Kindern müssen die Suppe auslöffeln, die ihnen andere durch Kinderlosigkeit eingebrockt haben", wird hier konstatiert und vorgeschlagen, daß nur 45 Prozent der Rentensumme beitragsbezogen an Ruheständler ausgeschüttet werden sollten. Die heutige Durchschnittsrente von 954 Euro würde damit auf 429 abgeschmolzen und könnte pro Kind durch je 243 Euro aufgestockt werden. Allein: Ob solche absichernde Vorausschau Kinder zur Welt kommen ließe?

Kinderkriegen, erst recht sie zu erziehen und zu unterhalten, ist unkomfortabler, zeitaufwendiger und weit weniger angesehen als jeder 40-Stunden-Job, unbequemer als ein Leben mit Zweiturlaub und Drittwagen allemal. Das ist entscheidend im Zeitalter der Pille und der Machbarkeit von Lebensläufen. Daran wird auch der wohltönende "Dreiklang von Zeit-, Infrastruktur- und finanzieller Transferpolitik" nichts ändern, den die Regierung nun via "nachhaltiger Familienpolitik" anschlägt. Man wird sich am Ende daran gewöhnen müssen, daß jede Gesellschaft so viele Kinder bekommt, wie sie verdient.

 

Ellen Kositza, 31, hat als Lehrerin gearbeitet und ist Mutter von fünf Kindern.


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