© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 19/05 06. Mai 2005

Grosses Glück
Kriegsende in Charlottenburg
Gisela Pfeiffer

Wir wohnten bei Kriegsende in Berlin in der Charlottenburger Schulstraße (heute Behaimstraße), die in die Richard-Wagner-Straße mündet. In unserem Haus war ein Luftschutzkeller, der - wenn ich mich recht erinnere - auch mit Doppelstockbetten für alle Mieter ausgestattet war. Auch ein Ofen gehörte zur Einrichtung, auf dem dann später auch gekocht wurde.

Wenn die Sirenen ertönten, zog meine Oma meinen damals vierjährigen Bruder an, der sich aber immer wieder ausziehen wollte, weil er nicht richtig wach zu kriegen war. An den Luftschutzkeller habe ich keine negativen Erinnerungen. An die vielen Alarme hatten wir uns gewöhnt, manchmal war es für uns Kinder richtig lustig. Einmal waren wir auch im Zoobunker, aber der Fußweg war für uns viel zu weit. Warum wir nicht in die nahegelegene U-Bahn gegangen sind, weiß ich nicht.

Wir hatten das große Glück, daß unser Haus und auch die benachbarten nicht getroffen worden sind. Aber das Haus unserer Großeltern in der Osnabrücker Straße war total zerbombt. Das Vorderhaus war total weg, während vom Hinterhaus, in dem unsere Großeltern wohnten, nur die vordere Haushälfte fehlte. Wir sahen noch unsere Schaukel im langen Flur der Wohnung hängen.

Der Hunger gehörte damals zu unserem Leben. Ich kann mich daran erinnern, daß auf der Straße tote Pferde lagen, aus denen sich Menschen Stücke herausgeschnitten haben. Ob meine Eltern das auch getan haben, weiß ich nicht, vielleicht habe ich es verdrängt. Als die Sowjetsoldaten gekommen waren, haben sie die Geschäfte auch für uns geplündert und Lebensmittel verteilt, oft in die Menge geworfen. Dabei flog meiner Oma eine Tüte Kaffee auf den Kopf. Meine Mutter wurde Trümmerfrau, mußte also Steine klopfen, um die guten Steine sozusagen für den Wiederaufbau zu retten. Wir Kinder waren dabei und freuten uns, wenn wir im Schutt Hausrat oder sogar Spielzeug fanden.

Der Luftschutzkeller wurde unsere Wohnung, da sowjetische Soldaten unsere Wohnungen belegt hatten. Auch da hatten wir Glück, denn zuerst kamen recht junge Soldaten einer Elite-Einheit zu uns, die ich ob meiner lange Zöpfe an ihre Schwestern erinnerte. Sie waren zu allen Mietern und vor allem den Kindern sehr nett, haben uns Kekse geschenkt und auch nichts in den Wohnungen zerstört.

Es muß in den letzten Tagen des Kampfes um Berlin gewesen sein, da die Sowjetsoldaten schon in unseren Bezirk vorgedrungen waren, da wollte unsere Oma unbedingt nach ihrem Sohn sehen, der in der Richard-Wagner-Straße in der Nähe der Deutschen Oper wohnte. Sie meinte, einer alten Frau würde schon niemand etwas tun. Einer der Soldaten sah meine Mutter weinen und hörte von ihr, daß sie Angst um unsere Oma hatte, da heftiges Flakfeuer zu hören war. Er lief dann unserer Oma hinterher, brachte sie heil zu ihrem Sohn und auch wieder zurück. Nach den Frontsoldaten kamen allerdings andere Soldaten der Roten Armee, vor denen sich die Frauen sehr vorsehen mußten. Auch unsere Mutter wollten sie "mitnehmen". Aber mein Bruder schrie so laut, daß sie von ihr ließen. Wieder hatten wir großes Glück. Befreit fühlten wir uns nicht.

Gisela Pfeiffer, Berlin


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