© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 19/05 06. Mai 2005

Flucht vor Partisanen
Mit dem Lkw westwärts durch Böhmen
Helmut Hellmessen

Es war der 7. Mai 1945 in Teplitz in Böhmen, zwischen Dresden und Prag. Ich befand mich als verwundeter Soldat im Hotel Quissisana, das jetzt ein Lazarett war. Ich hatte an der Front am 20. April einen Lungendurchschuß bekommen. Am 7. Mai löste sich alles auf. Jeder konnte auf eigene Faust sein Heil suchen, denn Teplitz würde bald die Rote Armee mit tschechischen Partisanen im Gefolge erreichen. Ich war gehfähig. Vor dem Hotel lagen bereits von diesen Partisanen erschossene Deutsche. Ein Sanitäter kam mit mir. Wir schlugen uns aus Teplitz bis zur Landstraße nach Westen in Richtung Karlsbad durch. Dort hielten wir einen Holzvergaser-Lkw auf. Der Fahrer zeigte sich bereitwillig, einen Verwundeten mitzunehmen. Zudem war ich ortskundig und riet, statt direkt nach Westen lieber südlich über Bilin zu fahren, um nicht den eventuell aus Sachsen vordringenden Russen in die Hände zu fallen.

Doch standen bald die ersten tschechischen Partisanen auf der Straße und wollten uns anhalten. Wir waren bewaffnet und schossen über ihre Köpfe, so gingen sie in Deckung, und wir fuhren zügig durch. Doch bald wurden wir von auf der Straße stehenden Tschechen - auch Frauen und Halbwüchsigen - mit Pflastersteinen beworfen, sie drohten, fluchten und schimpften. Wir hatten einen blinden Landser mit auf der Pritsche sitzen. Er betete und sprach immer wieder: "Wir kommen durch! Wir kommen durch!" Er hatte ein frohes Gesicht und war voller Hoffnung. Bald war es Nacht, wir fuhren in Kolonne immer weiter.

Wir waren schon in Karlsbad, dann kamen die Amerikaner. Ich zerlegte meine 7.65er Walter-Pistole in Einzelteile, die ich während der Fahrt Stück für Stück in die Gegend warf. Dann war Halt. Wir stiegen aus und gingen zu Fuß weiter. Es war 12 Uhr um Mitternacht. Es war der 8. Mai 1945 und niemand sollte mehr schießen. Wir umarmten uns. - Da standen schon die US-Soldaten auf der Straße und wiesen auf die Wiese, wo Hunderte von Landsern schon hockten. Ich wurde als Verwundeter mit anderen in die nahe Ortschaft Schlaggenwald gebracht. Ich verabschiedete mich von meinem blinden Freund, den ich leider nie mehr sah.

Wir waren jetzt Gefangene unter strenger Bewachung und hungerten sehr. Dies war die bedingungslose Kapitulation. Über meine schwarze Panzerkluft zog ein US-Soldat mit seinem Pinsel einen breiten weißen Streifen. Alle hatten wir Angst, doch noch an die Russen ausgeliefert zu werden, was nach unserer Erwartung eine langwährige und eventuell sogar tödliche Kriegsgefangenschaft in den Weiten Sibiriens bedeutete.

Nach mehrmaligem Verhör wurden wir nach Monaten entlassen. Ein Lkw setzte uns in Eger auf dem großen Marktplatz ab. Hier stand ich nun alleine. Wohin? Mein Zuhause war Aussig an der Elbe im Sudetenland, das jetzt russisch besetzt war. Ich wollte ins nahe Erzgebirge, dort zwischen den Bergen in Neudek hatte ich Verwandte. Doch bald wurde ich während meiner Wanderschaft von Tschechen aufgegriffen und eingesperrt. Dann kam ich mit einem Transport nach Brüx in die Kohlengruben in das berüchtigte Lager Tabor 38, das früher ein Konzentrationslager war. Im Lager herrschten schlimme Zustände. Es war Winter, wir hatten nur Holzschuhe, wurden mehrmals von Rotarmisten geplündert. Wir hatten kaum noch etwas.

Am schlimmsten war die Prügelstrafe. Ich selbst wurde einmal vom Lagerleiter und seinem Vertreter in einem abgeschlossenen Barackenraum geohrfeigt und geboxt, bis ich auf dem Boden lag. Ein Jahr später wurden wir dann per Viehwaggon nach Westen vertrieben. - Endlich frei, aber nach welchem Leid.

Helmut Hellmessen, Maintal

Foto: Unterschriften auf der Kapitulationsurkunde vom 8. Mai in Berlin-Karlshorst


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