© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 19/05 06. Mai 2005

Erleichterung
Selbstverwaltete Gefangenschaft
Otto Ritter

Ich war damals Leutnant der Reserve und gerade 22 Jahre alt geworden. Etwa am 22. April 1945 wurde ich als "infanteristischer Berater" einer Einheit zugeteilt, die - hastig zusammengestellt - zur Kampfgruppe "Student" (Fliegergeneral) gekommen war. Das waren etwa dreihundert Mann, Marine, Marineflak - und Verwaltungsdienstgrade unter Führung eines Verwaltungsoffiziers, des Kapitänleutnants Pape. Sie waren mangels Bewaffnung, Ausbildung und fehlender Fronterfahrung samt ihrer Führung infanteristisch ein Totalausfall.

Bis dahin war ich etwa drei Monate Führer einer Infanteriekompanie der Kampfgruppe Student gewesen, die wegen der alliierten Fallschirmtruppenlandung bei Nimwegen und Arnheim nach dem Mobilisierungsplan der Lübecker motorisierten Infanterie aufgestellt worden war.

Die Stimmung in meiner neuen Einheit entsprach der ausweglosen Situation. Die Befehlsstruktur hielt stand, auf dem Rückzug konnte ich Gefechte vermeiden. Man hätte in dieser Zeit auch keine militärischen Befehle geben können, die auf mehr als die Erhaltung des eigenen Lebens abzielten. Abgesehen von einer ungekannten Anzahl von Überläufern hatten wir keine Verluste.

Dieses Marinebataillon hatte ich in Tagesetappen von Wesel bis ins niedersächsische Varel geführt. Ungefähr am 6. erreichten wir das Straßendorf Rallenbüschen bei Varel und bezogen dort in Scheunen, Schule, Sälen und privat Quartier. Am 8. Mai mußten wir einer kanadischen Einheit unsere Waffen abgeben.

Die Trauer um unsere Niederlage war allgemein aber emotionsfrei; das Ende hatten wir lange genug kommen gesehen. Niemand hätte es als "Befreiung" empfunden, aber alle waren erleichtert: Wir lebten noch und der Krieg war vorbei. Mit der Ungewißheit kam man zurecht, wir kannten es nicht anders.

Übergriffe der Besatzer sind mir weder da noch in der ganzen Internierungszeit bekannt geworden. Der Umgangston mit den Besatzern war von beiden Seiten distanziert, aber wir sahen sie ohnehin nur selten. Etwa 14 Tage bis drei Wochen danach wurden wir in die Baracken der Küstenbatterie bei Schillig an der Nordsee verlegt.

Wir standen in unserer Wehrmachtsgliederung als Internierte unter eigener Verwaltung. Ein Teil von uns (mit Heimatwohnsitz in der englisch besetzten Zone) wurde bald von dort aus entlassen. Der Rest von uns wurde im Herbst 1945 nach Munsterlager verlegt. Für mich als Sudetendeutschen dauerte die Kriegsgefangenschaft noch bis Januar 1946.

Otto Ritter, Andechs


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