© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 19/05 06. Mai 2005

Noch viel zu wenig erforscht
Landwirtschaft: Skepsis gegenüber der grünen Gentechnik / Auswirkungen von Gen-Pflanzen auf die biologische Vielfalt
Leonhard Weiss

Manchmal sind die Segnungen der Moderne ein Fluch, und häufig leider zu wenig erforscht. Im Falle der Gentechnik zum Beispiel haben die potentiell phänomenalen Vorteile lange den Blick auf deren potentiell katastrophalen Nebenwirkungen verstellt. Jetzt wachen Umweltschützer und Politiker auf und verleihen ihrer Besorgnis über die Folgen der Aussaat "transgener" (künstlich erbgutveränderter) Pflanzen (auf Umwelt und Mensch) in Studien zur Risikoabschätzung und durch Einfuhrverbote von Gen-Saatgut in die EU Ausdruck.

Nahrung bekommt die Frage nach den möglichen Schäden transgener Pflanzen durch die jüngste Entscheidung der EU. Diese verlangt nämlich künftig für alle Maisimporte aus den USA eine sogenannte Unbedenklichkeitserklärung. Anlaß dazu gab eine Einfuhr des Agrochemiekonzerns Syngenta, der zwischen 2001 und 2004 aus Versehen rund 700 Tonnen Saatgut einer illegalen Sorte auf den US-Markt gebracht hatte. EU-Kommissare befürchten, Europa könne ein ähnlicher Lapsus drohen. Und die grüne Verbraucherschutzministerin Renate Künast spricht in diesem Zusammenhang von einer "unglaublichen Schlamperei".

Während Chemie-Firmen wirtschaftliche Einbußen wegen des Importverbotes fürchten und sich bislang wenig für die Erforschung der Auswirkungen ihrer Produkte interessieren, hakt der Naturschutzbund (Nabu) genau an dieser Stelle ein. In einer neuen Studie untersucht der Nabu die Folgewirkungen des großflächigen Anbaus transgener Pflanzen auf die Natur, beleuchtet die aktuelle Rechtslage, fragt nach den Interessen der Industrie sowie der Rolle des Staates und gibt Empfehlungen.

"Die Verschärfung der Industrialisierung auf die Landwirtschaft ist viel zu wenig erforscht, und die Gesetzeslage ist ungeregelt", so Steffi Ober, Gentechnik-Expertin des Nabu. Denn obwohl die Auswirkungen gentechnisch veränderter Sorten auf die Umwelt noch weitgehend unbekannt sind, bringen Landwirte bereits entsprechendes Saatgut in großem Umfang auf ihre Felder.

Gentechnologie für Einsatz von Breitbandherbiziden

Zu den größten Auswirkungen zählen die Verwilderung - transgene Pflanzen verdrängen lokale - und die Auskreuzung auf Wild- und Kulturpflanzen. Überdies beeinträchtigen Genpflanzen die natürliche Nahrungskette und können ganze Lebensräume und Landschaften (in ihrer Gestalt und Zusammensetzung) verändern.

Außerdem ermöglicht die Gentechnologie erstmals den Einsatz von Breitbandherbiziden wie Glufosinat und Glyphosat. Mit einem Wirkungsgrad von 95 Prozent eliminieren sie aber nicht nur Schädlinge, sondern auch die Pflanzen selbst. So gedeihen an den Rändern von Feldern mit Gentechnik-Raps etwa die Hälfte weniger Blütenpflanzen als bei Feldern mit konventionellen Herbiziden.

Dabei sah die Ertragssteigerung durch Gentechnik anfangs nach einer Erfolgsgeschichte aus. Und auch heute bieten Konzerne wie Syngenta, Mon-santo, Bayer und DuPont europäischen Landwirten gentechnisch veränderte Sorten wie Raps, Mais, Soja, Zuckerrüben und Baumwolle an mit der Begründung, diese förderten eine Landwirtschaft mit weniger Chemie und mehr Nachhaltigkeit. Verändert werden vor allem Pflanzenarten, die einen großen Markt haben - wie Mais, Raps und Soja -, da die Entwicklungskosten bei bis zu 60 Millionen US-Dollar liegen und damit fünfzigmal teurer als konventionelle Züchtungen sind.

Bislang lieferte die Forschung eher vage Schätzungen als gesicherte Erkenntnisse. Allerdings wurde die Risikoforschung in den letzten Jahren intensiviert, wie sich am Beispiel Deutschland zeigt, wo die Bundesregierung die biologische Sicherheitsforschung in den letzten acht Jahren mit 80 Millionen Euro gefördert hat.

Laut Studie ist vor allem eine unabhängige, strenge und vertrauenswürdige Risikoforschung notwendig. Zudem müßten standardisierte wie experimentelle Untersuchungsmethoden verbessert werden. Nabu-Präsident Olaf Tschimpke zufolge müßten die Verantwortlichen per Gesetz zu mehr Transparenz verpflichtet werden. "Alle umweltrelevanten Daten müssen öffentlich gemacht sowie Forschungsergebnisse dokumentiert werden", so Tschimpke.

Eine besser geregelte Gesetzeslage könnte da abhelfen. Die grüne Europa-Abgeordnete Hiltrud Breyer zum Beispiel hält den Beschluß für einen unentbehrlichen, aber unzureichenden Schritt. Denn die Verunreinigung durch Gen-Mais scheine nur die Spitze des Eisberges zu sein.

Für eine größere Transparenz spricht sich auch Künast aus -- die klaren Anforderungen seien: "Sicherheit, Kennzeichnung, Rückverfolgbarkeit". Diese Kriterien seien inzwischen längst ein wirtschaftlicher Vorteil, vor allem beim Export, so Künast. Deshalb startet das Bundesverbraucherministerium jetzt ein Forschungsprogramm zur Auswirkung von Genpflanzen auf biologische Vielfalt und Naturhaushalt - recht spät.


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen