© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 19/05 06. Mai 2005

Die Woche
Der Zauberlehrling
Fritz Schenk

Da hatte SPD-Chef Franz Müntefering wohl nicht richtig aufgepaßt, oder Goethes "Zauberlehrling" hatte an seiner Schule gar nicht auf dem Lehrplan gestanden. Er hätte daraus jedenfalls die Lebenserfahrung sammeln können, daß vermeintliche Zauberkunststücke nur Meister - und eben nicht Lehrlinge - versuchen dürfen.

In Goethes lehrreicher Ballade will sich der arbeitsscheue Zauberschüler einen alten Besenstiel zunutze machen und ihn mit einem Zauberspruch zum Wasserträger umfunktionieren. Das gelingt zunächst auch, und so schleppt denn der emsige Besen Eimer um Eimer in den Wasserbottich des Hauses. Doch dann fehlt dem Lehrling die Schlußformel seines Zauberspruchs, der Besen kann nicht mehr aufhören und überschwemmt nicht nur den Bottich, sondern das ganze Haus. Erst die Rückkehr des Meisters macht dem Treiben ein Ende, den Besen wieder zum Besen und entlarvt den Lehrling als Stümper.

Münteferings Kapitalismusschelte gleicht dem "Walle, Walle", mit dem der Zauberlehrling den Besen in Marsch gesetzt hatte. Dem Wasserschwall gleich erscholl das zustimmende Echo jener, für die "der Kapitalismus" seit Marx, Lenin und Stalin (die Nazis nannten ihn "Plutokratie") das Urübel des Industriezeitalters darstellt. Da hatte der SPD-Vorsitzende durchaus einen Ton angeschlagen, den viele hören wollten.

Der leere Bottich aufmunternder Botschaften füllte sich schnell. Doch ebenso schnell wie in der Fabel droht er nun überzulaufen. Die vom Zauber Ergriffenen wollen mehr. Ab sofort soll nicht nur Wasser, sondern Wein und Honig fließen - in unserem Fall heißt das die Abschaffung des Urübels, sprich: des "räuberischen Kapitalismus" selber. Mit dessen wortreicher Schelte, sprich: Wasser, gibt sich das durstige Publikum nicht mehr zufrieden, es will Wein. Statt vor überschäumenden Jublern mußte der "Zauberer Franz" auf der Maikundgebung in Duisburg vor Protest-"Schützen" mit faulen Eiern abgeschirmt werden. Um bei Goethe zu bleiben: Die Geister, die er rief, wird er nun nicht los.

Der SPD wird nichts anderes übrigbleiben (und der Union geht es da nicht viel besser), als dem gemeinen Volk klarzumachen, daß Unternehmen nur existieren können, wenn sie Gewinne erwirtschaften. Daraus müssen nicht nur Löhne, Sozialabgaben und Steuern, sondern auch die Mittel für den Erhalt wie die Erneuerung der Anlagen bezahlt werden. Und das geht nur, wenn sich genügend Käufer für Produkte wie Dienstleistungen finden. Das regelt der freie Markt. Wenn dort nicht genügend Leistung nachgefragt und abgerufen wird, stagnieren Produktion und Beschäftigung. Das ist deutscher Zustand seit zehn Jahren, mit sich verschlechternder Tendenz. Dort müssen die Meister ansetzen. Aber nicht als Zauberer, sondern als nüchterne Beherrscher des ganz normalen Wirtschafts-Einmaleins.

Was damit möglich ist, hatte Ludwig Erhard nach dem Zweiten Weltkrieg bewiesen. Aus einem Trümmerhaufen, in den zusätzlich zur ursprünglichen Bevölkerung fast zwanzig Millionen Vertriebene und Flüchtlinge geströmt waren, ordnete (nicht "zauberte") er einen völligen Neuaufbau, der schon nach fünf Jahren den Welt-Titel "Wirtschaftswunder" erhielt. Sein Geheimnis war fast ausschließlich die vom Staat so weit wie möglich ungehinderte Entfaltung der Marktkräfte. Sein Triumph hieß auch Vollbeschäftigung.


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