© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 19/05 06. Mai 2005

Hilflos und wehrlos
All die Opfer, all die Toten "umsonst"?
Siegfried Pelz

Den 8. Mai 1945 erlebte ich als Fünfzehnjähriger auf einem Bauernhof in einem kleinen Dorf auf der Nordseeinsel Föhr. Diese Insel war am 28. Februar der Endpunkt einer glücklich verlaufenen Flucht aus Heiligenbeil/Ostpreußen. Dank des überraschend wieder zugefrorenen Frischen Haffes und vor allem dank des hartnäckigen Widerstandes der eingeschlossenen 4. Armee gegen die überwältigende Übermacht der Roten Armee.

Wir - meine Mutter, meine Schwester und ich - wurden dort einzeln auf die Bauernhöfe verteilt. Wir besaßen nur noch das, was wir auf dem Leibe trugen sowie das Handgepäck. Unter meinem Zivilanzug trug ich noch meine Marine-HJ-Uniform. Denn ich glaubte, nach meiner Ankunft im Westen noch als "Marinehelfer" eingezogen zu werden. Es tat sich aber nichts.

Am 2. Mai hörten wir von einem Marinegefreiten aus dem nahegelegenen Kurheim/Lazarett gar das "Gerücht", die Deutschen würden zusammen mit den Briten und US-Amerikanern gegen die Russen vorgehen und sie wieder nach Rußland zurückwerfen. Wir hatten dagegen nichts einzuwenden. Ich persönlich hatte auch nichts gegen den Waffenstillstand, den die neue Regierung Dönitz mit dem britischen Feldmarschall Montgomery am 4. Mai abschloß.

Doch hören und lesen zu müssen, daß die Wehrmacht am 7. Mai in Reims vor dem Alliierten Oberkommando, am 8. Mai dann vor der Sowjetarmee in Berlin-Karlshorst kapitulierte, war mir damals eine gräßliche Vorstellung und äußerst zuwider. Daß nun Deutschland, die deutsche Regierung, der deutsche Staat hilflos und wehrlos fremden, feindlich gesonnenen Mächten ausgeliefert sein würden - diese Tatsache fand ich sehr bedrückend.

Zudem war ich sehr traurig darüber, daß all die Anstrengungen, all die Opfer, all die vielen Toten und Gefallenen vom Ergebnis her gesehen gewissermaßen "umsonst" erlitten worden waren bzw. das schlechte Ergebnis nicht verhindern konnten. Auch ich ahnte intuitiv - angesichts des schlechten Rufes, den Russen und Polen wegen ihrer ständigen Eroberungsgelüste gegenüber Ostpreußen bei uns zu Hause hatten -, daß wir nicht mehr nach Hause zurückkehren dürften.

Siegfried Pelz, Wyk auf Föhr

Foto: Auf der Suche nach den Enkeln. Das Drama um die große Anzahl elternloser Kleinkinder zog sich über viele Jahre hin. Viele Schicksale blieben bis heute ungelöst.


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