© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 19/05 06. Mai 2005

Russen entwischt
Berlin-Entsatz endete in Flucht nach Westen
Hans Demmeler

Anschließend an die Zeit im Reichs-Arbeitsdienst war ich als Freiwilliger zur Fallschirmtruppe nach Gardelegen eingerückt und zur weiteren Ausbildung am Flugplatz Stendal. Von da schloß sich der Einsatz gegen die auf Berlin anrückende Sowjetarmee bei Liebenwalde an.

Aber nach wenigen Tagen bereits traten wir den Rückmarsch (Flucht) nach Westen an. Egal, ob Zivilist oder Soldat - man versuchte von den Sowjets weg- und den Amerikanern und Engländern entgegenzukommen. In einem Wald vor Gransee erhielten wir in der Nacht unsere letzte Verpflegung. Von da ab war sozusagen jeder sein eigener Reiseleiter. In Löwenberg am Ortsrand erblickten wir am anderen Ende des Ortes russische Panzer. Also machten wir uns teils zu Fuß oder mit allen möglichen Fahrgelegenheiten schnell weiter nach Neuruppin auf. Unterwegs begegneten uns Kolonnen von KZ-Insassen aus Oranienburg. Über Pritzwalk und Parchim kamen wir schließlich in die Gegend um Schwerin.

Am 2. Mai kamen uns die ersten US-Soldaten auf der Straße entgegen. Der erste Amerikaner, der mich nach Waffen abtastete, nahm mir sogleich meine Uhr ab - sozusagen mein eigener Kollateralschaden. Weitere Übergriffe von alliierten Truppen habe ich nicht erleben müssen.

Am 8. Mai waren wir in einem Wald nahe Schwerin mit dem Bau unserer eigenen Unterkünfte beschäftigt. Nach ein paar Wochen sahen wir schon Jeeps mit russischen und US-Offizieren durch die Umgebung fahren. Mit mulmigem Gefühl dachten wir, was wäre, wenn die Russen uns sozusagen als Dreingabe behielten. Dem war aber Gott sei Dank nicht so; man brachte uns rechtzeitig mit einem Güterzug nach Neustadt in Holstein, weil unser oberster Sieger offenbar Marschall Montgomery, Oberbefehlshaber der 21. britischen Heeresgruppe war.

Befreit sind wir uns in dem Zusammenhang dennoch nicht vorgekommen, allenfalls besiegt und das jämmerlich; denn wir dachten ja an unser Land und seine Menschen und wie all das darniederlag. Dabei wußten wir damals noch nicht einmal, daß es noch Millionen deutscher Vertriebener aus den Ostprovinzen geben würde. Das alles ergab vielerlei An- und Einsichten, aber niemals ein Gefühl einer sogenannten Befreiung.

Hans Demmeler, Memmingen


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