© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 17/05 22. April 2005

Einer, der auszog, sich am Vater zu rächen
Geschichtspolitisch korrekt: Ein Film über Hanns Ludin nimmt es mit den historischen Details nicht so genau
Karsten Kühn

Eine wirkliche Familienkonstellation, wie sie sich literarischer nicht ausdenken läßt: Die sechs Kinder wuchsen in der Nachkriegszeit ohne Vater auf, die meisten haben nur bruchstückhafte Erinnerungen an ihn. Die Mutter, die ihren Mann um fünf Jahrzehnte überlebte, hat das Andenken an ihn als das eines Helden hochgehalten. Erst nach ihrem Tod wagen die Kinder, die Truhe im Keller zu öffnen, die den Nachlaß des Vaters birgt. Das zweitjüngste, geboren 1941, versucht sich ihm anzunähern und seine Lebensspuren nachzuzeichnen, indem es einen Film über ihn dreht. Malte Ludins Film "2 oder 3 Dinge, die ich über ihn weiß" hätte großartig werden können. Doch der Autor und Regisseur schläft mit dem Buch "Die Unfähigkeit zu trauern" unterm Kopfkissen und hat sich entschlossen, als Rächer und Entlarver aufzutreten. Der Film beginnt mit zwei Pauschalaussagen: Der Vater sei ein "Kriegsverbrecher" gewesen und das eigene Familienschicksal somit ein "typisch" deutsches.

Der Vater ist Hanns Elard Ludin, geboren am 10. Juni 1905 in Freiburg im Breisgau, als Kriegsverbrecher am Galgen gestorben am 9. Dezember 1947 in Preßburg. Sein Sterben war qualvoll und dauerte 20 Minuten, während derer er langsam stranguliert wurde.

Ludin gehörte zu der Gruppe junger Offiziere, die in der Reichswehr nationalsozialistische Zellen gegründet hatten und 1930 im Ulmer Reichswehrprozeß zu 18 Monaten Festungshaft verurteilt wurden. Einer von ihnen, Leutnant Richard Scheringer, wurde danach Kommunist und blieb es bis ans Lebensende. Ein anderer, Beppo Röhmer, wurde nach dem 20. Juli 1944 hingerichtet. Ludin wurde Reichstagsabgeordneter der NSDAP und SA-Obergruppenführer. Als Hauptmann nahm er am Westfeldzug teil, im Januar 1941 ging er als Abgesandter des Deutschen Reiches in die Slowakei.

Die Filmrezensenten heben unisono hervor, daß Sohn Malte die familiären Tabus gebrochen habe. Mutig, mutig! Vor allem will er seine ältere Schwester, die an einem positiven Vaterbild festhält, mit inquisitorischen Fragen in die Enge treiben. Das in der Benesch-Republik gefällte Urteil muß um jeden Preis gerechtfertigt werden. Mit den historischen Details darf er es daher nicht so genau nehmen.

Eine Ludin-Biographie gibt es bisher nicht, doch Ernst von Salomon hat im "Fragebogen" den Versuch eines Psychogramms unternommen. Beide hatten sich in einem US-Internierungslager kennengelernt. Demnach hatte Ludin, der einer bürgerlich-liberalen Lehrerfamilie entstammte, für seine Hinneigung zum Nationalsozialismus keine politischen Gründe, "es sei denn solche, die in der allgemeinen historischen und zumal in der moralischen Situation lagen. Er sah einfach den ursprünglichen Hort der angemessenen Tugenden, das liberale Bürgertum, gewissermaßen biologisch zu schwach geworden, als daß es just in der Gefährdung seine Aufgabe vollenden könnte; er sah andere, neue und jüngere Mächte aufsteigen, bereit, die alten sozialen Schichtungen abzulösen, und in diese nun das Beständige hineinzutragen, das dünkte ihn seine eigentliche Aufgabe. Es war also, zynisch ausgedrückt, eine Art Radikal-Liberalismus, der ihn zu handeln bewog (...)."

Diesem fehlgegangenen Idealismus hätte der Sohn nachspüren müssen, ebenso der Tatsache, daß Ludin die Aussagen, die ihn belasteten, freiwillig gemacht hatte, um die angeklagten slowakischen Regierungsmitglieder zu entlasten - im vollen Wissen, daß sie ihm den Tod bringen würden. Fluchtmöglichkeiten schlug er aus. "Ich war des Reiches Gesandter in der Slowakei. Die Slowaken haben dem Reich vertraut. Ich habe die Verantwortung für alles, was in der Slowakei geschah, auf mich genommen." Das kommt im Film nicht vor.

Dafür wird suggeriert, Ludin sei vor allem wegen der Verstrickung in die Deportation der slowakischen Juden hingerichtet worden. Der Regisseur weiß selber, daß dies nur einer unter zwei Dutzend Anklagepunkten und keineswegs der wichtigste war.

Vor allem wollte die Benesch-Justiz demonstrieren, daß die Sezession der Slowaken aus dem tschechoslowakischen Staatsverband 1939 Hochverrat und Ludin der Agent einer ausländischen Macht war, wobei unterschlagen wurde, daß mehrere Länder, darunter die Schweiz und bis 1941 auch die Sowjetunion, diplomatische Beziehungen mit Preßburg unterhielten.

Könnte hinter dem Eifer des Sohnes Eifersucht stecken?

Aus seiner Funktion als Gesandter wird die juristische Verantwortung für die Judendeportation abgeleitet. Die Situation in der Botschaft war wesentlich komplizierter, analog zu der im Auswärtigen Amt. Dort lag die Zuständigkeit für die "Judenfrage" seit 1940 bei der Deutschland-Abteilung, die von der NSDAP und SS okkupiert worden war. Formal unterstand sie dem Auswärtigen Amt, doch die Loyalität der Mitarbeiter galt dem Reichssicherheitshauptamt und dem Reichsführer SS. Ihr Sitz befand sich nicht in der Berliner Wilhelmstraße, sondern einige Kilometer entfernt in der Rauchstraße im Tiergarten.

An den Botschaften gab es dazu eine spiegelbildliche Entsprechung. Noch bevor Hanns Ludin in Preßburg eintraf, war SS-Obersturmbannführer Dieter Wisliceny als "Berater für Judenfragen in der Deutschen Gesandtschaft" tätig geworden. Raul Hilberg, der Nestor der internationalen Holocaust-Forschung, führt aus, daß bei dem Botschaftertreffen mit dem slowakischen Ministerpräsidenten Vojtech Tuka am 16. Juni 1942, bei dem die Deportationen besprochen wurden, nicht Ludin, sondern Wisliceny das Wort führte. Auch Götz Aly erwähnt in seinem Buch "Hitlers Volksstaat" Ludin mit keinem Wort, dafür Wisliceny. Ludin hat die Kenntnis von der Ermordung der Juden bestritten, seine Frau ebenfalls. Willentliche, wissentliche Blindheit? Verdrängung? Die Nachricht soll er in badischer Mundart kommentiert haben: "Das ischt eine bodenlose Sauerei!"

Nochmals Salomon: "Seine letzten Worte waren ein Gedenken an seine Frau und seinen Sohn Tille und der Ruf: Es lebe Deutschland!" Auch das verschweigt der Film. Mit Deutschland kann Malte Ludin nicht viel anfangen - nun gut. Sein Bruder Tille (Tilmann) ist der erstgeborene, Malte der zweitgeborene Sohn. Könnte es sein, daß hinter seinem geschichtspolitisch korrekten Aufklärungsfuror tiefer Schmerz und rasende Eifersucht stecken? Daß dieser Film nur eine Fluchtbewegung des Regisseurs ist? Das wäre der Stoff für einen wirklich großen Film.

Foto: Hanns Elard Ludin in dem Film "2 oder 3 Dinge, die ich von ihm weiß": "Ich habe die Verantwortung"


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