© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 17/05 22. April 2005

Fördern, fordern und mauscheln
Sozialpolitik: Die hochgelobten Hartz-Reformen erweisen sich als Flop / Betrügereien bei Vermittlungsgutscheinen
Josef Hämmerling

Jede Menge Baustellen" hätten sich aufgetan, jammerte die brandenburgische Arbeitsministerin Dagmar Ziegler (SPD) letzte Woche bei der Vorstellung der 100-Tage-Bilanz des "Hartz IV"-Gesetzes in Potsdam. Die Vermittlung von Arbeit müsse unbedingt intensiviert werden. Sonst drohe ein "riesengroßer Vertrauensverlust".

Für den ist allerdings zuvorderst ihr Parteigenosse, Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement, verantwortlich. Der einstige NRW-Ministerpräsident kann seine Mißerfolgsbilanz um einen weiteren Punkt erweitern: Die von ihm und der Bundesregierung mit viel Vorschußlorbeeren gestarteten Hartz-Reformen haben sich nämlich in fast allen Punkten als Flop erwiesen - vor allem auch bei der Arbeitsvermittlung.

Besonders große Hoffnung hatten die Hartz-Reformer auf die private Arbeitsvermittlung gesetzt, die mit hohen Zuschüssen unterstützt wird - die aus den Zwangsbeiträgen der Arbeitslosenversicherten bezahlt werden. Hiervon profitieren aber nach einem bislang unveröffentlichten Bericht des Bundesrechnungshofs vor allem Betrüger, wie kürzlich das MDR-Fernsehen berichtete. So hätte eine einjährige Überprüfung ergeben, daß gerade einmal acht Prozent der insgesamt knapp 690.000 ausgegebenen Vermittlungsgutscheine eingelöst wurden. Darüber hinaus hätten sie auch überwiegend keinen Bestand gehabt. Denn die meisten vermittelten Arbeitsverhältnisse dauerten nur einem Monat oder sogar weniger. Ursprünglich hatte Clement angekündigt, daß durch den Vermittlungsschein mehrere hunderttausend Arbeitslose neue Stellen erhalten würden.

Dagegen sieht der Bundesrechnungshof große Anzeichen von Betrug. Wörtlich heißt es in dem Bericht: "In knapp einem Drittel aller Fälle lagen entweder Nachweise oder zumindest Anhaltspunkte für eine mißbräuchliche Inanspruchnahme oder für Mitnahmeeffekte vor." Insgesamt sind hiervon 63 Prozent aller Arbeitsagenturen betroffen. Aus diesem Grund rieten die Rechnungsprüfer bereits im Mai 2004 davon ab, das bis Ende des Jahres befristete und offensichtlich gescheiterte System zu verlängern. Aber dennoch tat der Bundestag genau dies - und das, obwohl dem Haushaltsausschuß der vernichtende Bericht des Bundesrechnungshofs vorlag. Nun sollen die Vermittlungsgutscheine erst einmal bis zum 31. Dezember 2006 weiter gelten. Als einzige wesentliche Änderung beschlossen die Politiker, daß die erste Rate für den Vermittler in Höhe von 1.000 Euro nicht bereits direkt dann fällig wird, wenn ein bislang Arbeitsloser einen Vertrag unterschreibt, sondern erst dann, wenn das Arbeitsverhältnis auch nach sechs Wochen noch fortbesteht. Doch reicht dies nach Ansicht des Wirtschaftswissenschaftlers Marcel Thum vom Institut für Wirtschaftsforschung (IFO) in Dresden nicht aus: "Es gibt damit immer noch zu viele Möglichkeiten der Mitnahme und des Betrugs. Die Frist, nach der eine Auszahlung erfolgt, müßte auf jeden Fall verlängert werden."

Ein genauso großer Flop sind die Personal-Service-Agenturen (PSA), die von den Arbeitsämtern 2003 flächendeckend eingerichtet wurden. Diese Agenturen sollten schwer vermittelbare Arbeitslose bei sich einstellen und diese zeitlich befristet an Unternehmen verleihen. Clement kündigte an, daß hierdurch jährlich 350.000 sozialversicherungspflichtige Jobs geschaffen würden. Und was blieb von diesem vollmundigen Versprechen übrig? Bis Ende März 2005 wurden laut der Bundesanstalt für Arbeit gerade einmal knapp 28.000 Personen in reguläre Beschäftigungsverhältnisse vermittelt!

Nicht viel besser sieht es bei den "Job-Floatern" aus. Die Ende 2002 eingeführte Maßnahme wurde bereits nach einem Jahr wieder eingestellt. Klein- und Mittelbetriebe konnten, wenn sie einen Arbeitslosen einstellten, einen zinsgünstigen Kredit bis zu 100.000 Euro beantragen. Clement versprach 50.000 neue Stellen - in Wirklichkeit waren es jedoch nur 11.000! Und das Schlimme hieran war: Laut Experten hatten die meisten dieser Unternehmen ohnehin neues Personal gesucht, nahmen nun jedoch auch noch die staatliche Förderung mit und belasteten damit den Bundeshaushalt zusätzlich!

Ebenfalls ein Mißerfolg sind die sogenannten Mini-Jobs. Zwar erhöhte sich die Zahl geringfügig entlohnter Beschäftigter von Dezember 2003 bis Dezember 2004 um 11,3 Prozent auf knapp sieben Millionen Menschen, doch führte dies, so das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung, "zu keiner nennenswerten Reduzierung der Arbeitslosigkeit". Grund: Vor allem Schüler, Studenten und Hausfrauen sind geringfügig beschäftigt. Gleichzeitig entgehen den Sozialversicherungsträgern und dem Finanzamt aber Einnahmen von rund einer Milliarde Euro pro Jahr.

Und auch bei den "Ich-AGs" wurde das von Clement gesteckte Ziel von einer halben Million Existenzgründungen aus der Arbeitslosigkeit heraus weit verfehlt. Ende März 2005 lag diese Zahl nämlich lediglich bei 246.800 Gründungen. Hinzu kommen 97.500 Gründer, die das auf sechs Monate befristete Überbrückungsgeld in Anspruch nahmen. Auch ist die Dunkelziffer sehr hoch, da vor allem diejenigen Arbeitslosen eine Ich-AG gründeten, die aufgrund der neuen Regelungen beim Arbeitslosengeld schlechter als bislang gestellt waren und sich das Geld nun über den Umweg der Ich-AG zurückholten.

Wie Hohn muß es also erscheinen, wenn Clement bei der Vorlage der 5,2-Millionen-Arbeitslosenzahlen für den März jubelte: "Das ist die Trendwende am Arbeitsmarkt." Weiter zeigte er sich davon überzeugt, daß die Zahl der Arbeitslosen noch in diesem Frühjahr unter die Fünf-Millionen-Marke sinkt und im Jahresverlauf auch nicht mehr darüber steigt.

Am 9. Oktober 2003 verbreitete Clement schon mal ähnlichen Zweckoptimismus: "Die rückläufigen Arbeitsmarktzahlen sind ein erfreuliches Signal. Sie zeigen, daß die ersten beiden Hartz-Gesetze und weitere Maßnahmen bereits Wirkung entfalten. Die zusätzlichen Beschäftigungsmöglichkeiten und die Anwendung des Prinzips 'Fördern und Fordern' sind richtige Schritte. Auf diesem Pfad müssen wir konsequent weitergehen ... Die Entwicklung bei den Existenzgründungen aus Arbeitslosigkeit ist sehr positiv ... Auch die Personal-Service-Agenturen kommen jetzt in Gang. Im September waren dort 21.347 Menschen (August: 14.738) beschäftigt und 38.000 Plätze eingerichtet. Die anfängliche Skepsis gegenüber den PSAen war verfrüht. Jetzt wird sich zeigen, daß auch dieses Instrument wirken kann und wird." Inzwischen hat sich allerdings das Gegenteil für die Hartz-I bis -III-Reformen gezeigt - von Hartz IV ist ähnliches zu erwarten.


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