© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 16/05 15. April 2005

Wappentiere auf der Flucht
Von Trakehnen westwärts
Thomas Viebig

Das handliche Büchlein der britischen Journalistin Patricia Clough über "Die Flucht der Trakehner aus Ostpreußen" erlebte im letzten Herbst in rascher Folge drei Auflagen. Dieser Erfolg mag auch günstiger Plazierung in der seit Monaten auf den 8. Mai 2005 zustrebenden massenmedialen "Befreiungs"-Debatte geschuldet sein. Entscheidender jedoch dürfte sein, daß ostpreußische Themen eine eigene Attraktivität entfalten. Untergänge großen Stils reizen die menschliche Einbildungskraft, wie jede neue "Reportage" aus Atlantis oder Troja beweist.

Bei einem Buch über die kriegsbedingte, nur teilweise gelungene Evakuierung der Trakehner Pferde kommt ein weiteres Moment hinzu: die Versinnbildlichung der Provinz in diesen edlen Vierbeinern. Mehr als der Elch ist das Trakehner Pferd zum "Wappentier" Ostpreußens geworden. Elche sind prähistorische "Urtiere", während Pferde und ihre Zucht eng mit dem "Prozeß der Zivilisation" verbunden sind. Zumal in Ostpreußen, wo das 1732 gegründete Königliche Stutamt Trakehnen nicht zu trennen ist vom Aufbau der Provinz und dem Aufstieg des preußischen Staates.

Clough geht auf diese Anfänge kurz ein, schildert die Perfektionierung des Zuchtsystems im 19. Jahrhundert und den Ausbau Trakehnens samt seiner Vorwerke zum größten Gestüt Europas, "wenn nicht der Welt". Schade nur, daß für diese Rahmendarstellung das heute zwar antiquarisch seltene, gleichwohl unentbehrliche Werk des Königsberger Stadthistorikers Walther Franz ("Im Land der Pferde", 1937) nicht herangezogen wurde. Aber Clough will schließlich nicht die agrarisch-sozialen Strukturen dieser "Pferdekultur" rekonstruieren. Ihr Thema ist deren Ende im Winter 1944/45. Und dank vieler Zeitzeugen und mancher in Privathand überlieferter Quellen gelingt ihr das in bester, Geschichte personifizierender, angelsächsischer Sachbuchmanier - einige stilistisch unschöne Effekthaschereien inklusive. Daß der "braune Zar" am Pregel, Gauleiter Erich Koch, die hohen Verluste an Mensch und Tier mitzuverantworten hat, die die viel zu späte Flucht aus Trakehnen kostete, hebt Clough zu Recht mit gebotenem Nachdruck hervor.

Patricia Clough: In langer Reihe über das Haff. Die Flucht der Trakehner aus Ostpreußen, DVA, München 2004, 208 Seiten, Abbildungen, gebunden, 19,90 Euro


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