© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 16/05 15. April 2005

"Es gibt keine Völker, die Täter sind"
Vergangenheitsbewältigung: Joachim Fest wagt es, zum Gedenken an das Kriegsende 1945 Tacheles zu reden
Thorsten Thaler

In diesen Erinnerungswochen vor dem 60. Jahrestag des Kriegsendes am 8. Mai und seiner geschichtspolitischen Ausdeutung das Selbstverständliche zu sagen, dazu gehört Mut und Zivilcourage. Allzu leicht wird man von den tonangebenden Meinungsführern der Kritik ausgesetzt, mindestens "unpassende" Worte gefunden zu haben; von schlimmeren Verdächtigungen ganz zu schweigen. Da ist es wohltuend, wenn einer doch mal den Mund aufmacht und Tacheles redet. So wie jetzt vergangenes Wochenende Joachim Fest (78) in einem langen Interview mit der Berliner Zeitung.

"Es gibt keine Völker, die Täter sind. Das trifft nur auf einzelne Menschen zu. Ein Kollektiv kann nicht zum Täter werden", erklärte der ehemalige FAZ-Herausgeber und Hitler-Biograph. Fest weiter: "Der Begriff 'Tätervolk' ist völlig widersinnig und falsch. Es ist sehr bequem, das zu sagen. Die Deutschen sind ein wunderbarer Sündenbock, und sie spielen diese Rolle auch sehr gut."

Gefragt nach dem Gedenken an Auschwitz, antwortet Fest: "Auschwitz wird als eine jüdische Ikone präsentiert. (...) Es sind unvorstellbar viele Menschen in dieser Zeit umgekommen, aber geredet wird von den Opfern einer oder zweier Minderheitengruppen. Nur die sind im Gedächtnis der Welt. Die anderen sind alle rausgefallen." Ihm sei immer wieder diese "ungeheure Einseitigkeit" aufgefallen, die er gar nicht kritisieren wolle. "Aber aufs Ganze gesehen halte ich das für kontraproduktiv. Es ist zu viel Moral dabei."

Ein anderer Merksatz von Joachim Fest in seinem Interview lautet: "Jugendliche wissen so wenig über das Dritte Reich, glaube ich, weil zu viel in Deutschland darüber geredet wird, nicht, weil zu wenig darüber geredet wird. Die Leute sind übersättigt und können das nicht mehr hören." Ausdrücklich nennt Fest in diesem Kontext den ZDF-Haushistoriker Guido Knopp. Nun, nach dem diesjährigen Gedenkmarathon dürfte die Übersättigung bei vielen endgültig zu einer kräftigen Magenverstimmung geführt haben.


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