© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 16/05 15. April 2005

Pankraz,
Angelika Krebs und der globale Humanismus

Das mußte eines Tages kommen. Aus immer mehr an sich recht friedlichen Ecken der "westlichen Wohlstandsgesellschaft", aus Schweden, aus den Niederlanden, aus der Schweiz, ertönen neuerdings Protestrufe gegen "kosmopolitische Überforderung". Man hat dort die Nase von gewissen Entwicklungen gründlich voll. Globalisierung hin oder her - man will es sich nicht länger gefallen lassen, daß einem (zu all den Schwierigkeiten, die man ohnehin schon hat) von bestimmten Ideologen auch noch systematisch ein schlechtes Gewissen eingeredet wird, ja daß einen diese Ideologen regelrecht auf die Anklagebank setzen.

Der Wohlstand solcher Länder wie der Schweiz, so tönt es von den Ideologen, sei - "angesichts des Hungers in der übrigen Welt" - eine schlimme Sünde, außerdem ein Verstoß gegen alle "vernünftigen" Theorien der Gerechtigkeit, wie sie etwa John Rawls, Ronald Dworkin oder Amartya Sen aufgestellt hätten. Alle Menschen seien gleich, also stünden ihnen auch die gleichen Grundgüter zu und die gleichen Funktionshebel zur Gestaltung des Lebens. Erstes und vorrangiges Anliegen der "Weltinnenpolitik" müsse es sein, Grundgüter und Funktionshebel neu zu verteilen, sie aus den Wohlstandsländern in die Armutszonen auszulagern.

Gegen solche Reden bäumen sich nun auch liberale Kräfte in den angeklagten Ländern auf. Ihre wichtigste akademische Fanfare in der Schweiz ist zur Zeit Angelika Krebs von der Universität Basel, eine ebenso hübsche wie beredte Philosophie-Professorin, deren Vorlesungen und Vorträge zum Problem der kosmopolitischen Überforderung viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen. "Globaler Humanismus statt globaler Egalitarismus!" fordert Frau Krebs, und sie spart nicht mit Vorschlägen, wie der Humanismus gegen den Egalitarismus am besten einzusetzen sei.

Erste Einsicht des globalen Humanismus: "Nicht die Gleichheit, sondern die Differenz ist oberstes Menschenrecht". Zweite Einsicht: "Der Mensch wird in Gruppen hineingeboren, die er sich nicht ausgesucht hat und die ihn fundamental prägen und anleiten. Die Orientierung auf die Gruppe ist eine legitime existentielle Option und muß in jede plausible Theorie der Gerechtigkeit einfließen." Und dritte global-humanistische Einsicht: "Der Mensch geht nicht auf in Kontrakten und Kooperationen, er ist stets mehr als bloßer Vertragspartner und kann deshalb nicht auf einen solchen reduziert werden."

Aufgrund solcher Einsichten wehrt sich Angelika Krebs entschieden dagegen, daß "Wohlstandsländern" wie der Schweiz der Prozeß gemacht und ihnen gleichsam das gesamte Elend der Welt aufgebürdet wird. Keine noch so ausgeklügelte Gleichheitstheorie kann die Schweizer dazu bringen, sich plötzlich als Räuber und Spitzbuben zu fühlen, die anderen etwas wegnehmen. Wie denn auch? Sie haben, ausgestattet mit einer spezifischen Prägung, aus ihrem ursprünglich kargem, an Ressourcen armem Land ein Schmuckstück der Moderne gemacht, ohne daß ihnen dabei jemand beisprang, und so haben sie jedes Recht der Welt, das Gewordene in seiner Gestalt zu bewahren und gegen schleichende Aggressionen von außen wie innen zu verteidigen.

Was heißt denn "gleiche Grundgüter" (J. Rawls)? Nigeria in Afrika zum Beispiel ist, im Vergleich zur Schweiz, nicht nur ein riesiges, sondern ein an Grundgütern äußerst reiches Land, reich nicht nur an Naturschönheiten, sondern reich vor allem an Bodenschätzen, an Erdöl, Erdöl und noch einmal Erdöl. Und was machen die Nigerianer aus diesem Reichtum? Geballte Armut in den großen Städten, wilder Haß zwischen den angestammten Ethnien, Übervölkerung, Unordnung, Rechtunsicherheit. Hier versagt jedes Gleichheitsdenken.

Zitat Krebs: "Wir müssen im Namen der Gerechtigkeit nicht alle Kontingenzen, von denen das menschliche Leben nur so wimmelt, kompensieren, um möglichst gerade Balken zu erreichen. Gerechtigkeit ist kein Kompensationsbetrieb für Glück und Pech aller Art. Wer hungert oder schwer krank ist, hat einen moralischen Anspruch auf Unterstützung, aber nicht weil es anderen angeblich unverdientermaßen bessergeht als ihm, sondern weil es ihm schlechtgeht, punktum."

Und weiter: "Der Egalitarismus überstrapaziert Gerechtigkeit und läßt keinen Raum für nationale Identität und Parteilichkeit. Der Humanismus dagegen begrenzt das transnational moralisch Geforderte auf einen Sockel an Menschenrechten und auf globale Verteilungsgerechtigkeit. Im Surplusbereich oberhalb läßt er Platz für nationale Identität und Parteilichkeit."

Zur nationalen Identität gehört selbstverständlich auch die Bewahrung des mühsam erreichten Wohlstandsniveaus, beispielsweise des Lohnniveaus für Arbeitnehmer. Wenn Unternehmen Arbeitsplätze in Billiglohnländer auslagern, so ist das ein ernster Angriff auf die nationale Identität, dem man eigentlich mit bestimmten steuerlichen Maßnahmen gegen die Auslagerer entgegentreten müßte - und auch könnte. Doch was tut die EU? Sie besteuert die Auslagerer nicht, sie gewährt ihnen sogar noch hohe bis höchste Steuernachlässe, und zwar ausdrücklich im Namen des Egalitarismus, der Herstellung von Gleichheit, zunächst innerhalb der EU und dann so schnell wie möglich auch global.

Genau diese Art von Gleichheitswahn, sagt Frau Krebs, treibt den EU- oder UN-Skeptikern immer mehr Anhänger zu, und das sei nur allzu verständlich. Gleichheitswahn überfordert die Menschen nicht nur, sondern er mutet ihnen schlicht Unzumutbares zu, er ist inhuman. Denn zur Mindestausstattung jeder wahrhaft humanen Existenz gehört, neben der Freiheit vom Hunger, auch die Freiheit, sich in seiner angestammten und oft hart verteidigten Haut einigermaßen wohlzufühlen und sich nicht an jeder Ecke dafür rechtfertigen zu müssen, daß man so ist, wie man ist.


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